Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 5
Rezepturen - Versuch und Irrtum
Literatur des 19. Jahrhunderts: Lehrke (1888) „Mischung und Ansaat der Grassämereien sowie Pflege und Kultur der Graskulturen“ und Nobbe (1873) „Handbuch der Samenkunde – Physiologisch-statistische Untersuchungen über den wirthschaftlichen Gebrauchswerth der land- und forstwirthschaftlichen, sowie gärtnerischen Saatwaren“. Fotos: R. Vanselow.
Ein Handbuch über Saatgut-Rezepturen stellt fest, dass
„…auf dem Gebiete der Grassamenkunde sehr beachtenswerte Fingerzeige gegeben [wurden], welche weit weniger, als sie es verdienen, in die große Praxis übergegangen sind, obwohl sie deutlich erkennen lassen, wie nützlich solche Untersuchungen gerade bei der Ansaat der einheimischen Gräser werden können, und daß mehr und mehr die Mißgriffe verhütet werden müssen, schon fertige Mischungen bei den Samenhändlern zu kaufen oder die billigere Ware vorzuziehen. Der Landwirth muß die Mischung der Gräser und ihrer prozentualen Gewichte selbst bestimmen.“
Was vor dem Hintergrund wehrhafter, viehtoxischer Gräser geradezu aktuell klingt, ist tatsächlich über 100 Jahre alt: Dieses Zitat stammt aus dem von Dr. Dünkelberg geschriebenen Vorwort für das Buch „Mischung und Ansaat der Grassämereien sowie Pflege und Ertrag der Graskulturen“ von J. Lehrke (Vlg. Korn, Breslau, 1888).
Im ersten Teil dieser Serie über Saatgut haben wir gesehen, was für völlig unerwartete Folgen der Kauf von preiswerten fertigen Saatgut-Mischungen haben kann. Leider ist die Samenbank des Bodens vielerorts erschöpft, so dass die traditionelle Selbstberasung wie in früheren Jahrhunderten auf Brachen vielleicht über Jahre nicht befriedigend ist. Wenn die berechtigte Gefahr besteht, dass Giftpflanzen wie das Jakobs-Kreuzkraut bei der Ansiedlung schneller sind als die gewünschten Gräser, müssen die Gräser gezielt schnellstmöglich auf die Fläche gebracht werden.
Im Teil zwei dieser Saatgutserie habe ich den Königsweg beschrieben. Doch die Möglichkeit der Saatgutübertragung aus geeigneten Spenderflächen ist nicht überall gegeben. Welche Gräser in der Vergangenheit wirtschaftlich genutzt wurden, habe ich in den Teilen drei und vier dieser Serie erklärt. Doch wie sahen Rezepturen für Saatgutmischungen früher aus? Schließlich war die Selbstberasung nach Ackerbau auch früher oft schon im Ergebnis nicht das, was erwünscht war. Zudem dauerte es vielen Landwirten zu lange. Man wollte den Prozess abkürzen und dabei auch die gefürchteten „Hungerjahre“, also sehr schlechtes Graswachstum in den ersten Jahren, umgehen. Zudem kam man auf völlig verunkrauteten Grasländern am Umbruch zur Unkrautbekämpfung manchmal nicht vorbei. Gerade dann sollte eine schnelle, dichte Ansaat erneute Verunkrautung verhindern.
Rezepturen im 19. Jahrhundert
Das bereits angesprochene Handbuch von Lehrke (1888) ist wahrscheinlich das umfassendste Werk über Grasländer und Rezepturen zu ihrer Ansaat im 19. Jahrhundert. Damals ging es keineswegs nur um Heuwiesen und Weiden für das Vieh. Lehrke behandelt Grasländer allgemein, also beispielsweise Uferbefestigungen, Hänge, Obstwiesen, Wässerwiesen, auf Dauer ausgelegte Grasländer, ebenso wie nur für wenige Jahre gedachte Zwischenfrucht im Ackerbau, Wildweide im Wald oder auch Kleegrasgemenge im Feldfutterbau. Im Gegensatz zu heute wurde das Grasland komplett als Futter genutzt. Wo nicht beweidet werden konnte (Gräben, Hänge, Wegränder …), mähte man mit der Sense. Vieh wurde oft „getüdert“, also an einem Seil mit Erdpflock irgendwo an Wegrändern stundenweise zum Grasen geparkt.
Alle diese verschiedenen Rezepturen sind in großen Tabellen angelegt, aus denen man je nach Graslandtyp, Boden, Wasserverhältnissen oder Nutzung (Rind, Schaf, Pferd, Heu, Weide …) die Pflanzen zusammenstellte. Für alle Grasland-Tabellen zusammen diente ein Pool von über 80 Pflanzenarten: 50 Gräser, 28 Leguminosen (Schmetterlingsblütler) sowie 4 weiteren Kräutern. Freilich handelt es sich bei dieser Vielfalt um eine Wunschliste, nicht um ein vorhandenes Angebot. Aber immerhin galten alle diese Pflanzen damals als ansaatwürdig und erwünscht.
Das Saatgut-Angebot
Es war schwierig, überhaupt Saatgut zu bekommen. Auf regional angepasste Ökotypen nahm man beim Saatgut kaum Rücksicht. Der vom Zollverein aufgezeichnete Saatguthandel gibt einen Eindruck über die Herkunft verwendeter Samen am Beispiel Klee (Nobbe 1873): Kleesamen für Deutschland wurden überwiegend aus Österreich importiert und gingen vornehmlich nach Preußen, Bayern und Sachsen. Der Handel mit dem Ausland (Österreich, Schweiz, Frankreich, Holland, Belgien und Russland) blühte im 19. Jahrhundert. Der Export deutscher Kleesamen ging in die Schweiz, nach Belgien, Holland, Hamburg und „der Ostsee“ (Schleswig-Holstein war 1800 dänisch und ging erst 1867 endgültig an Preußen – Altona, heute ein Teil von Hamburg, war damals die zweitgrößte dänische Stadt). In den Jahren 1854 bis 1866 wurden jährlich durchschnittlich 5 801 135 kg Kleesamen importiert und 7 316 481 kg exportiert. Die Durchmischung wirtschaftlich genutzter heimischer Wildpflanzen mit nicht heimischen Ökotypen setzte also bereits damals ein.
Ein weiteres Problem für die Verwendung regionaler Wildpflanzen war die mangelnde Pflanzenkenntnis der Bauern. So beklagt Niggl (1930), dass nach Untersuchungen 95% der Bauern nicht in der Lage seien, Pflanzen zu erkennen. Die Mehrzahl der Bauern wusste also gar nicht, welche Pflanzen ihre Tiere fraßen, was bei ihnen wuchs oder was dort wachsen sollte. Sie konnten entsprechend auch nicht selber Wildsaatgut sammeln oder gezielt für eigene Saatgutmischungen kaufen. Das war im 19. Jahrhundert sicherlich nicht anders als 1930.
Gut gedacht, aber in der Praxis ohne Erfolg
Mit den Tabellen versuchte man die Zusammenstellung geeigneter Rezepturen zu erleichtern. Doch diese Methode setzte sich ebenso wenig durch wie das Gießkannenprinzip „von allem etwas in gleichen Anteilen“. Was waren die Gründe für die ausbleibenden Erfolge?
Die Probleme beginnen bei der Ernte von (Wild-) Saatgut. Die Samen müssen von fachkundigen Personen, die auch wirklich die richtigen Pflanzen absammeln, geerntet werden. Viele wilde Gräser geben die Samen nur schwer frei und reifen über einen langen Zeitraum, so dass die ersten Samen abfallen, wenn die letzten noch völlig unreif sind. Trocknung und Lagerung bilden eine weitere Hürde. Viele Samen haben nur eine kurze Lebensdauer. Nur bei sehr trockener Lagerung bei tiefen Temperaturen kann ihre Keimfähigkeit vielleicht über einen längeren Zeitraum erhalten bleiben. Ein Teil der geernteten Samen ist ohnehin taub. Weitere Probleme gibt es bei der Aussaat: Es gibt schwere und leichte Samen, Lichtkeimer und Schattenkeimer. Manche Samen entwickeln sich langsam und werden erst spät konkurrenzstark, während andere sich gleich zu Beginn erdrückend breit machen, aber später zurücktreten und nicht langlebig sind.
Zu all diesen Problemen mit der Gewinnung, Lagerung und Ausbringung kommt dann noch die standörtliche Anpassung der Pflanzen als sogenannte Ökotypen einer Art. Die besondere genetische Anpassung an ganz spezielle Regionen wurde zuerst in der Forstwirtschaft entdeckt. Preisgünstiges Saatgut von Eichen aus Osteuropa führte ausgesät in Deutschland zu ruinös mickerigen Eichenwäldern. Die artgleichen Bäume waren an eine völlig andere Witterung und andere Böden angepasst. Da Waldbesitzer Bäume für folgende Generationen pflanzen, war hier der Schaden besonders schlimm, da er erst Jahrzehnte später erkannt und durch Neuanpflanzung mit heimischem Saatgut behoben werden konnte. Entsprechende Gesetze (Bundesnaturschutzgesetz, Sorten- und Saatgutrecht) verbieten heute aufgrund dieser Erfahrungen die beliebige Verwendung von fremdem Saatgut in der freien Natur oder in der Land- und Forstwirtschaft. Damals wurde ohne dieses Wissen Saatgut nicht nur innerhalb Deutschlands gehandelt, sondern auch innerhalb Europas und sogar zwischen den Kontinenten. Entsprechend dürftig waren oftmals die Aufwüchse. Viele Pflanzen keimten am falschen Standort überhaupt nicht, und wenn doch, dann kümmerte die Pflanze.
Als Folge der nicht standörtlich angepassten Pflanzen war ihr Keimungsvermögen mangelhaft. Sehr hohe Saatdichten wurden gewählt, nicht nur um unerwünschte Kräuter fernzuhalten. Um Nachsaaten zu vermeiden, säte man nicht ausdauernde Füllpflanzen wie Luzerne, Esparsette oder Weidelgras ein, die später dem eigentlich erwünschten Bestand Platz machten. Oder man kämpfte mit den gefürchteten „Hungerjahren“, die man auf die Störung der Humusschicht und mangelnde Nährstoffversorgung zurückführte und durch Düngung zu umgehen suchte – bis die nicht gesäte heimische Vegetation in die angesäten Flächen wieder eingewachsen war und die Regie übernehmen konnte.
Zu diesen Erkenntnissen kamen jedenfalls Prof. Carl Albert Weber und andere Fachleute seiner Zeit nach eingehender Beobachtung der Grünlandflächen. Zudem erkannte Weber, dass die Tabellen zu starr auf wenige wesentliche Einflussfaktoren eingingen, statt sich an dem zu orientieren, was tatsächlich an Artenzusammensetzung und prozentualen Bestandsanteilen in naturnahem Grasland vor Ort anzutreffen war.
Die Entwicklung von Begrünungsmethoden und Ansaaten, die an den jeweiligen naturnahen Standort angepassten waren, wurde an genau dieser Stelle nicht weiter verfolgt. Wir stehen heute vor denselben Herausforderungen wie unsere Vorfahren vor einhundert Jahren (siehe auch Teil 2 dieser Serie). Welchen Weg man stattdessen eingeschlagen hat und warum das speziell für viele Pferdehalter nicht unproblematisch ist, werden wir im nächsten Teil dieser Serie (Teil 6) sehen.
Unerwartete Risiken bei der Ansaat nicht regionaler (Wild-) Pflanzen
Die „Tall Fescue Endophyte Story“ ist die landwirtschaftliche Entdeckungsgeschichte der Ursache von schwersten Tiervergiftungen in den USA durch den aus Europa stammenden Rohrschwingel (engl.: Tall Fescue, Festuca arundinacea). Sie zeigt uns, welch unerwartete Eigenschaften ein Wildgras entfaltete, das von einem Kontinent auf einen anderen verschleppt wurde und dort mit völlig anderen Bedingungen als in seiner Heimat konfrontiert wurde.
Es muss sicherlich nicht gleich ein anderer Kontinent sein. Schon die Selektion auf besondere erwünschte Eigenschaften (Zuchtsorte oder spezieller Ökotyp eines wilden Grases) und ein vielleicht so nicht beabsichtigter Einsatz dieses Organismus könnte nicht vorhergesehene Wirkungen haben. Mir sind in der Vergangenheit zwei Beispiele in Erinnerung geblieben, die mich sehr beschäftigt und nachdenklich gemacht haben.
Beispiel 1:
Eine private Pferdehaltung mit einigen Shetlandponys und Islandpferden in Norddeutschland. Den Pferden stand neben dem Offenstall mit eingezäuntem Auslauf zeitweise eine umfangreiche, sehr extensiv genutzte große Weidefläche auf sandigem Boden zur Verfügung. Bei dem Aufwuchs handelte es sich zum Zeitpunkt der Begehung um eine etwa 10 Jahre zuvor angesäte, sehr artenreiche landwirtschaftliche Mischung speziell für Pferde. Die Mischung enthielt kein Deutsches Weidelgras. Nach etwa 10 Jahren war an vielen Stellen der Weide nur noch der dicht wachsende Rotschwingel aus der Mischung übrig geblieben, die anderen Gräser (und Kräuter) waren in diesen Bereichen komplett verschwunden. Bei einem Islandpferd war eine Erblindung aufgetreten, bei mehreren Shetlandponys Probleme mit Hufrehe.
Beispiel 2:
Eine private Pferdehaltung mit Islandpferden in Norddeutschland. Den Pferden stand neben dem Offenstall ganzjährig eine riesige, extensiv genutzte Weide auf sehr armem Sandboden zur Verfügung. Bei dem Aufwuchs handelte es sich zum Zeitpunkt der Begehung um eine etwa 10 Jahre zuvor angesäte, sehr artenreiche landwirtschaftliche Mischung speziell für Pferde. Die Mischung enthielt kein Deutsches Weidelgras. Nach etwa 10 Jahren Nutzung ohne Düngung war flächig nur noch der in Horsten stehende feinblättrige Rotschwingel aus der Mischung übrig geblieben, die anderen Gräser (und Kräuter) waren von der gesamten Weidefläche komplett verschwunden. Der Rotschwingel wirkte kümmerlich. Zwischen den Horsten der Rotschwingel stellten sich zunehmend Moose und vor allem Flechten ein. Allmählich entstand ein Sandmagerrasen, so dass die Futtergrundlage für die wenigen Islandpferde vollständig verloren zu gehen drohte. Auf armen Sandstandorten ist Grasland als landwirtschaftliche Futtergrundlage nur mit Hilfe eines gepflegten Humushorizonts zu erhalten (siehe Teil 1 dieser Serie). Ein Islandpferd war wegen vollständiger Erblindung getötet worden, zudem gab es bei anderen Pferden Probleme mit Hufrehe.
Extrem arme Böden mit Flechte-Moose-Rasen sind keine Weideflächen, jedoch sehr interessante Extremstandorte im Naturschutz. Nicht beweideter Flechten-Moose-Rasen im Naturschutzgebiet Schäferhaus. Die roten Farbtöne stammen von den braunroten Sporenkapseln der Moose, die grauen Tupfer entstehen durch bodenbedeckende Flechten. Fotos: R. Vanselow.
Die Ansaaten aus beiden Beispielen stammten von der gleichen Firma, die sich vor Jahrzehnten auf Pferdehaltung spezialisiert hat. Dieser kleine, sehr kundenorientierte Betrieb lässt sich seine artenreichen Rezepturen für landwirtschaftliche Pferdehaltungen von einem großen Saatgutproduzenten aus Deutschland mischen. Die allgemein in der Pferdehaltung eingesetzten Rotschwingel werden nicht selten aus dem Zucht-Sortiment für Straßenrandbegrünungen gewählt, da man davon ausgeht, dass Pferde besonders grob mit ihren Futterpflanzen umgehen: Pferde verbeißen sehr tief und rennen gnadenlos über die Weiden. Pferdehalter düngen oft nicht, aus Angst vor Hufrehe. Der Rotschwingel muss also besonders robust (resistent) sein, soll er diese Anforderungen überstehen. Das ist die Überlegung dahinter. Hat diese Überlegung einen Haken?
Ein Horst-Rotschwingel, angesät als Straßenrandbegrünung. Foto: R. Vanselow.
Kann Rotschwingel giftig für Pferde sein?
Rotschwingel für Straßenrandbegrünung muss ständiges Befahren und Betreten aushalten. Zudem muss die Pflanze extremer Sommerdürre auf oft schlechten Schotterstandorten sowie Salz im Winter trotzen. Salz führt wie Frost u. a. zu „Wassermangel“ in der Pflanze, wenn sie dem Boden kein festes oder an osmotische Salze gebundenes Wasser entziehen kann. Zudem werden Straßenränder oder Rasen an Wegen oft sehr kurz gemäht. Dabei wird die Pflanze verwundet, ihrer Photosyntheseorgane beraubt und der Wind kann fast ungehindert die bodennahe feuchte Luftschicht abtragen. Trockenheit und extreme Temperaturen (Hitze, Bodenfrost) werden im kurzen Rasen nicht durch eine schützende Vegetationsschicht abgemildert. Der Stress gelangt direkt an die Wurzeln im ungeschützten Boden. Alle diese einwirkenden Faktoren erfordern extreme Widerstandskraft (Resistenz) von solchen Gewächsen.
Resistenzen in Pflanzen haben immer eine Ursache. In der Regel werden rein natürliche Wirkstoffe gebildet, die die Pflanze in Stresssituationen schützen. Die Dosis entscheidet dann darüber, ob diese Wirkstoffe an anderer Stelle ein Problem darstellen können. Als Futter für eine Getreideblattlaus darf das resistente Gras ein Problem, sprich giftig sein, als Futter für Weidevieh könnte es zum Problem für uns als Tierhalter werden. Die in den Beispielen kurz umrissenen Begehungen brachten mich ins Grübeln. Rotschwingel gilt in der amerikanischen Fachliteratur als ungiftig. Der Verlust der Hornkapseln, Krallen oder (Finger-) Nägel kann eine Folge einer Vergiftung mit Ergotalkaloiden sein. Desgleichen können diese Gifte zur Erblindung führen. Angenommen, der Rotschwingel ist mit seinem zur Verwandtschaft der Mutterkornpilze gehörenden Parasiten Epichloëfestucae infiziert – wie hoch können die Giftgehalte sein?
Nach langer Suche fand ich eine spanische Veröffentlichung mit folgender Angabe zu Ergovalinkonzentrationen in Rotschwingel:
„Ergovalin wurde in 16,6% der Pflanzen der Servandez-Population entdeckt und in 41,6% der Pflanzen der Palancar-Population. Die Ergovalinkonzentrationen reichten von 0,06 – 0,25 µg/g Trockenmasse in Futterproben und 0,05 – 0,75 µg/g Trockenmasse in Saatgutproben. Diese in Futter gefundenen Konzentrationen liegen unterhalb des Grenzwertes für Vergiftungen bei Rindern.“ (Zitat aus: Vázquez de Aldana et al. 2003)
0,05 bis 0,75 µg/g entsprechen 50 bis 750 ppb Ergovalin. Ab 300 ppb Ergovalin im Futter ist bei Pferden nach Angaben des Endophyte Service Laboratory in Corvallis/USA mit klinischen Vergiftungssymptomen zu rechnen.
Das gute Wildsaatgut
Pferdehalter, die keine Landwirtschaft sind und ihren kleinen Flächen etwas besonders Gutes tun wollen, wenden sich oft von den Angeboten der konventionellen Pflanzenzucht ab und den Wildpflanzenproduzenten zu. Die Ersteren produzieren laut Sorten- und Saatgutrecht (Saatgutverkehrsgesetz) für die Landwirtschaft, die anderen laut Bundesnaturschutzgesetz für die „freie Natur“, die eben keine Landwirtschaft ist. Gärten und Parks sind gesetzlich privilegiert, hier darf gepflanzt und gesät werden, was gefällt.
Nun finden sich bei Anbietern des Verbandes der Wildpflanzenproduzenten aber auch recht preisgünstige artenreiche Mischungen für Pferdeweiden und Heuwiesen für landwirtschaftliche Flächen. Das Saatgut für diese Mischungen wird zumindest teilweise bei den Kollegen vom Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter eingekauft. Es handelt sich also überwiegend um konventionelle Zuchtsorten. Was als Echter Kriechender Rotschwingel (Festuca rubra rubra) verkauft wird, aber fadenförmig im Blatt ist und deutliche Horste bildet, könnte auch ein Horst-Rotschwingel aus der Straßenrandbegrünung sein, zertifiziert als Zuchtsorte beim Bundessortenamt.
Überall, wo nach dem Gießkannenprinzip artenreiche Mischungen für ganz Deutschland angeboten werden, ist von vorne herein davon auszugehen, dass nur ein Teil des Saatguts auf einen geeigneten Standort fällt. Es werden also viele Samen nicht keimen, sich nach der Keimung nicht entwickeln – oder zum Unkraut mutieren. Lückige Vegetation und jährliche Nachsaaten zeigen an, dass die Mischung und der Standort nicht zueinander passen. Im günstigsten Falle teuer, im ungünstigsten eine nach Jahren möglicherweise giftige Futtergrundlage (siehe Beispiele).
Fazit
Unseren Vorfahren war sehr bewusst, dass ein Pferd kein Mastvieh ist, sondern statt dessen als schlanker Sportler hohe Arbeitsleistungen zu verrichten hat. Klee galt als Fettmacher und wurde speziell in der Vollblutzucht teilweise stark abgelehnt. Bei den kundigen Arabern galten die runden, glänzenden Pferde der Oasen nicht viel im Vergleich zu den mageren Wüstenpferden, denn für sie kam es nicht auf Schönheit an, sondern auf Schnelligkeit, Härte und Ausdauer des Pferdes.
Mangelstandorte, wie sie in der Natur flächig vorkamen, lassen jedoch nur eine sehr extensive Nutzung zu. Halb-Trockenrasen wie das Naturschutzgebiet Schäferhaus ernähren bei ganzjähriger Beweidung (keine Winterruhe, Winterfutter aus den eigenen Flächen gewonnen) nur ein Konik bzw. Galloway auf 5 Hektar Fläche. Diese Tiere wiegen keine 500 kg, sind also keine landwirtschaftliche „Großvieheinheit“.
Obwohl Prof. Carl Albert Weber erkannt hat, dass in einer dem Standort abgeschauten Aufteilung der Bestandsanteile eben die standortangepassten Wildsamen für eine naturnahe Begrünung unablässig sind, beugte er sich den ökonomischen Zwängen und Forderungen seiner Zeit. Was das bedeutet und wie es sich bis heute auf Rezepturen und Standorte auswirkt, betrachten wir im Teil 6 dieser Serie.
Dr. Renate Vanselow, Dipl.-Biologin
Dieser Artikel ist Teil 5 unserer Serie über Saatgut - lesen Sie weiter:
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 1
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 2: Der Königsweg
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 3: Wirtschaftsgräser der Vergangenheit
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 4: Traditionelle Wirtschaftsgräser
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 5: Rezepturen - Versuch und Irrtum
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 6: Idiotensichere Rezepturen für intensive Grünlandwirtschaft
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 7: Gestresste Gräser - wann wird es gefährlich?
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 8: Wann treten hohe Giftgehalte in Gräsern auf?
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 9: Giftige Grasbestände - was tun?
Literatur:
Lehrke, I. (1888): Mischung und Ansaat der Grassämereien sowie Pflege und Kultur der Graskulturen. Wilh. Gottl. Korn, Breslau, 148 S.
Niggl, L. (1930): Das Grünland in der neuzeitlichen Landwirtschaft. Paul Parey, Berlin, 145 S.
Nobbe, F. (1873): Handbuch der Samenkunde – Physiologisch-statistische Untersuchungen über den wirthschaftlichen Gebrauchswerth der land- und forstwirthschaftlichen, sowie gärtnerischen Saatwaren. Vlg. Wiegandt & Hempel, Berlin, 80 S.
Vázquez de Aldana B.R., García Ciudad A., Zabalgogeazcoa I., García Criado B. (2003): Festuca rubra en pastos de dehesa: incidencia de la infección endofítica en la producción de componentes anticalidad. En: Pastos, Desarrollo y Conservación. A.B. Robles Cruz, E. Ramos Font, C. Morales Torres, E. de Simón Navarrete, J.L. González Rebollar, J. Boza López (eds.), Junta de Andalucía, Consejería de Agricultura y Pesca, pp. 69‐73.
05.09.2017