Hundeerziehung mit positiven Methoden
Wir arbeiten nur mit positiven Methoden!“ – mit solchen oder ähnlichen Versprechen werben viele Hundeschulen ihre Kunden. Doch in der Praxis sieht der Trainings-Alltag häufig anders aus: Dort wird mit Gegenständen nach Hunden geworfen, an der Leine geruckt, mit Einschüchterung durch „scharfe“ Stimme, Lautstärke und Drohgebärden gearbeitet, oder sogar mittels physischer Gewalt eingewirkt. „Das macht ihm gar nichts“ oder „Hunde müssen wissen, wer hier das Herrchen/Frauchen ist“ hört man dann.
Muss das wirklich sein?
Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, ob das wirklich sein muss? Ist es Ihnen unangenehm, Ihrem Hund Schmerz zuzufügen oder ihn unangenehmen Gefühlen auszusetzen? Gibt es denn keine positiven Methoden, die diese Bezeichnung wirklich verdienen? In der Theorie weiß man schon lange, dass es auch anders geht. Doch werden von vielen Hundetrainern Argumente angeführt, die wahrhaft positive Methoden als nicht alltagstauglich, nutzlos oder als Zeitverschwendung hinstellen. Ein paar typische Fälle finden Sie in der Tabelle.
Veraltete Vorstellungen
Ein Argument, das immer wieder aufgeführt wird, ist, dass der Hund eine stabile „Rangordnung“ oder „Hierarchie“ brauche, gekennzeichnet durch ein „Alpha-Tier“, das – na klar – aus dem Hundebesitzer besteht. Diese veraltete Vorstellung basiert ursprünglich auf Beobachtungen von Hummeln im Jahre 1802 und der Hackordnung von Hühnern im Jahre 1922 (O’Heare 2005). Das Konzept wurde in den folgenden Jahren auf viele Tierarten angewandt, darunter auch auf Wölfe. Allerdings wurden die Beobachtungen an zusammengewürfelten Rudeln in Gefangenschaft durchgeführt. Bei diesen Rudeln hatten sich tatsächlich häufig ein „Alpha-Rüde“ und eine „Alpha-Fähe“ gebildet, die das Rudel „dominierten“. Diese Beobachtungen wurden dann unverändert auf domestizierte Haushunde angewandt. Erst seitdem die großflächige und langfristige Beobachtung freilebender Wölfe mittels moderner Technik (Funk-Halsbänder, Peilsender, GPS etc.) möglich ist, gibt es neue Erkenntnisse.
So hat David Mech 1999 in einer Studie gezeigt, dass freilebende Wölfe ein viel komplexeres Sozialgefüge aufbauen. Es gibt demnach viele Tiere innerhalb des Rudels, die für eine gewisse Zeit das Rudel führen, dann aber durch andere Rudelmitglieder abgelöst werden (Mech 1999). Diese Erkenntnisse sind unter Wissenschaftlern inzwischen weithin akzeptiert. Kurz gesagt: Es gibt in der Natur bei Wölfen in aller Regel keine "Alpha-Tiere“! Und damit wird jenen „Alpha-Tier“-Theorien bei Hundetrainern jede Grundlage entzogen (Beck 2010, Eaton 2003).
Hunde kennen in ihrer natürlichen Umgebung weder ein „Alpha-Tier“ noch eine Rangordnung oder Hierarchie! Wie es zu diesem Irrtum kommen konnte, ist nur allzu verständlich, wenn man die Situation gefangener Wölfe einmal auf Menschen überträgt: Bei Katastrophen wie einem Unglück in einem Bergwerk zeigt die Erfahrung, dass sich schnell ein „Gruppenführer“ herauskristallisiert, der die eingeschlossenen Bergleute „dominiert“. Ähnliche Strukturen kommen in extremen Fällen auch in Gefängnissen vor. Brauchen wir Menschen deshalb ein „Alpha-Tier“, das uns zeigt, wo es lang geht? Sind wir nicht in der Lage, andere Menschen innerhalb eines sozialen Gefüges als gleichwertige Lebensbegleiter zu akzeptieren?
Oder anders herum: Wer Hundeerziehung als Ausbildung einer Rangordnung versteht, versetzt den Hund in eine unnatürliche Zwangsumgebung, die einer Gefangenschaft gleichkommt. Welcher Hund kann sich in so einer Umgebung noch wohlfühlen?
Absurde Ratschläge
Diese falsche „Alpha-Theorie“ führt zu bizarren Verhaltens-Empfehlungen wie „der Hund darf nie als erster ins Haus“, „der Mensch läuft vor dem Hund“ oder „der Hund darf keine erhöhte Position einnehmen, z. B. auf dem Sofa“. Den Gipfel der Absurdität stellt der sogenannte „Alpha-Wurf“ dar. Bei diesem Gewaltakt wird der Hund auf die Seite geworfen, um ihm „Unterwürfigkeit“ beizubringen.
Selbst wenn jemand überzeugt ist von der Alpha-Theorie, glaubt er allen Ernstes, sein Hund verwechselt ihn mit einem „Alpha-Rüden“? Derselbe Hund, der die Spur eines bestimmten Menschen kilometerweit verfolgen, der die kompliziertesten Tricks lernen, die Gemütsstimmung eines Menschen interpretieren und Dutzende Signale auseinanderhalten kann? So ein Tier soll zu dumm sein, einen Menschen von einem Mitglied seines Rudels zu unterscheiden?
„Aber die Alpha-Theorie funktioniert doch gut!“, behaupten viele Hundebesitzer und Hundetrainer. In einigen Situationen tut sie das auch – keine Frage. Schließlich funktioniert das totalitäre Staatssystem vieler nichtdemokratischer Staaten ja auch ganz gut: Die Menschen tun, was sie sollen, und verbotene Verhaltensweisen werden unterdrückt. Strafandrohungen, Repressalien und eine stabile Hierarchie gehören zur Tagesordnung. Aber wollen Sie Ihrem Hund ein totalitäres Regime bieten? Oder bevorzugen Sie ein liebevolles Miteinander zwischen Mensch und Hund? Wollen Sie Ihren Hund zu einem bestimmten Verhalten zwingen oder wären Sie froh, wenn der Hund freiwillig dieses Verhalten zeigt?
Der soll auch so hören!
„Motivationshilfen wie Leckerchen und Futter sind unnötig“, sind einige Hundetrainer überzeugt. Diese These ist selbst für einen Verfechter der Alpha- oder Dominanztheorie absurd. In einem solchen Fall wird der Hund in einem „totalitären Regime“ erzogen, streng nach dem Motto „Zuckerbrot und Peitsche“. Und nun soll das Zuckerbrot auch noch entfallen? Selbst in sogenannten Schurkenstaaten wird dem Volk das ein oder andere Vergnügen gegönnt, die Abschaffung hätte eine sofortige Rebellion zur Folge. Und der Hund soll nun auf den letzten Rest positiven Arbeitens verzichten, nur weil er zu schwach ist, um eine Rebellion zu begründen? Ist das gewaltfreie Erziehung?
Die Belohnung in Form von Leckerchen oder Spielzeug ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Hundeerziehung. Überlegen Sie einmal: Würden Sie umsonst arbeiten, ohne Lohn und Gehalt? Auch der Vierbeiner ist nur dann zu echten Lernleistungen fähig, wenn er ein realistisches Ziel vor Augen hat. Dieses kann natürlich sehr unterschiedlich aussehen und ist von Hund zu Hund individuell zu erarbeiten. Hinzu kommt, dass der Akt der Nahrungsaufnahme einen extrem wichtigen Bestandteil für die Festigung des Sozialgefüges darstellt – ein Aspekt, der gezielt für den Ausbau der Mensch-Hund-Beziehung eingesetzt werden kann.
Warum halten sich diese Vorstellungen?
Positive Methoden kommen ohne diese bizarren Theorien aus. Sie basieren auf dem natürlichen Umgang und der Berücksichtigung der Bedürfnisse von Mensch und Hund. Warum wird dann nicht auf „negative“ Methoden verzichtet? Zwei Gründe können angeführt werden, die in den allermeisten Fällen zutreffen.
Erstens: Der Hundetrainer hat einfach keine Zeit, auf die individuellen Erfordernisse einzugehen.
Wenn zehn oder mehr Hunde gleichzeitig in einer Gruppe „erzogen“ werden sollen, wie kann das Verhalten des einzelnen Hundes dann analysiert werden? Dies ist auch von erfahrenen Hundetrainern nicht zu leisten. Es ist dem Kunden einfach zu vermitteln, dass er dem Hund einen Schlag mit einer Leine oder einem Schlauch verpassen soll, um unerwünschtes Verhalten abzustellen. Hund zieht – zack! Das geht auch mit vielen Hunden gleichzeitig.
Herauszufinden, warum der Hund zieht, erfordert Einfühlungsvermögen, Erfahrung und ein paar Minuten Zeit. Ist der Hund von der Situation gestresst? Kann er einfach seinen Bewegungsdrang nicht ausleben? Wird er von anderen Hunden oder Menschen abgelenkt? Gibt es physiologische Gründe? Und so weiter. Wenn man einmal weiß, woran es liegt, kann gezielt mit positiven Methoden gegengearbeitet werden.
Zweitens: Die Ideologie des Hundetrainers ist von veralteten Vorstellungen geprägt.
Oben sind ein paar dieser Ansichten aufgeführt. Denken Sie einmal nach: Schlagen Sie Ihre Kinder? Oder sperren Sie sie in eine dunkle Kammer ein? Schmeißen Sie mit scheppernden Gegenständen nach ihnen? Ein Hund ist kein Kind – das ist richtig, aber: Vor 50 Jahren waren solche oder ähnliche Methoden normal, sozusagen „Stand der Forschung“. Niemand hat sich darüber Gedanken gemacht.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Heute möchte man fördern statt bestrafen, neugierig machen statt zurechtzuweisen und zur Kreativität ermuntern statt stumpfsinnige Strafarbeiten zu verteilen. Und die gleiche Entwicklung ist in der Kynologie – der Lehre von Zucht, Pflege, Erziehung und Krankheiten der Hunde – längst im Gange.
Wie erkenne ich, ob ein Hundetrainer positiv arbeitet?
Letzte Sicherheit gibt es natürlich erst während des Trainings. Wenn Ihnen eine der oben genannten Aussagen oder Methoden bekannt vorkommt, dann handelt es sich höchstwahrscheinlich nicht um positive Methoden.
Aber auch im Vorfeld kann man einiges erkennen: Besitzt der Hundetrainer eine fundierte und anerkannte Ausbildung? Es gibt gewiss gute Hundetrainer, die nie eine offizielle Ausbildung genossen haben. Aber erstens ist dies eine Ausnahme und zweitens kann nur durch fundierte Kenntnisse der wissenschaftlichen Grundlagen ein sinnvolles und nachhaltiges Trainingskonzept entwickelt werden. Würden Sie Ihre Kinder von unausgebildeten Freizeitlehrern erziehen lassen wollen? Viele Hundetrainer schmücken sich mit wohlklingenden, aber nichtssagenden Titeln, in denen Begriffe wie „Diplom“ oder „Professionell“ vorkommen.
Schauen Sie genauer hin: Wie lange hat die Ausbildung gedauert? In einem halben Jahr kann unmöglich die gesamte Vielfalt der Kynologie und Ethologie vermittelt werden. Beinhaltet die Ausbildung hauptsächlich positive Trainingsmethoden? Wird sowohl Theorie als auch Praxis gelehrt? Achten Sie auch auf Vielfalt der Ausbildung. Jemand, der sein gesamtes Wissen von einer einzigen Person erhält, hat höchstwahrscheinlich einen begrenzten Horizont und kennt nicht die große Zahl der Facetten in der Hundeerziehung.
Bildet sich der Hundetrainer regelmäßig fort? Wer seit Jahren nicht an Seminaren von Kynologen und positiv arbeitenden Referenten teilgenommen hat, kann nur
schwerlich den Stand der Wissenschaft im Alltag umsetzen.
Kooperiert der Trainer mit anderen positiv arbeitenden Hundeschulen? Einem guten Hundetrainer ist die Lösung eines Problems allemal wichtiger als Konkurrenzgedanken. Jeder Trainer stößt irgendwann einmal an seine Grenzen oder braucht Rat in einem bestimmten Fall. Hilfe von befreundeten Hundeschulen anzunehmen ist dann ein Zeichen für Stärke, Kompetenz und Verantwortung. Die „Wenn ich’s nicht kann kann’s keiner“-Mentalität hat ausgedient!
Wie groß sind die Gruppen im Gruppentraining? Mit zehn oder mehr Hunden gleichzeitig kann selbst der beste Trainer nicht sinnvoll arbeiten. Gruppentraining ist oft sinnvoll, darf aber niemals zu einer Massenveranstaltung ausarten.
Sagt Ihnen der Trainer am Telefon schon die Ursache des Problems? Hellsehen kann kein Hundetrainer. Sicher, es gibt Ursachen, die häufiger vorkommen als andere. Aber eine Ferndiagnose abzugeben, ohne jemals den Hund gesehen zu haben, ist schlichtweg unseriös. Ein Automechaniker muss sich den Wagen auch erst angesehen haben, bevor er sagen kann, warum er nicht mehr fährt.
Ist der Hundetrainer gleichzeitig Heilpraktiker, Tierphysiotherapeut, Homöopath, Futtervertreter, Züchter und Betreiber eines Web-Shops? Zugegeben, diese Aufzählung ist übertrieben und in dieser Kombination wohl nie anzutreffen. Trotzdem: Wer auf vielen Hochzeiten tanzt, kann in aller Regel unmöglich auf jedem Gebiet Experte sein. Es gibt jedoch Leute, die mit hoher Überzeugungskraft und Charisma diesen Eindruck zu vermitteln wissen.
In jedem Falle gilt: Bleiben Sie kritisch und vertrauen Sie Ihrem „Bauchgefühl“! Jeder gute Hundetrainer ist dankbar für angemessen hervorgebrachte Kritik und versucht daraus zu lernen.
Fragen Sie nach, wenn Sie etwas nicht verstanden haben! Insbesondere, falls Ihnen eine Methode seltsam vorkommt. Fragen Sie nach der Theorie und Zielsetzung! Ein guter Trainer weiß, was er tut!
Nicola Barke, Christine Schmidt, Ulrike Schöttler, Hundeerzieherinnen
23.07.2017