Wenn Hunde altern
Eine einheitliche Definition des Wortes "Altern" gibt es nicht. Der Alterungsprozess beginnt bereits beim Welpen und die klinische Manifestation verschiedenster "Alterserscheinungen" ist nichts anderes als der Verlust des Kompensationsvermögens.
Lebenserwartung
Die maximale Lebenswartung ist das höchste Alter, was jemals bei einem Hund dokumentiert wurde, und da könnte ein Hirtenhund aus Rochester mit 29 Jahren durchaus ein Anwärter sein. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Hundes ist hingegen abhängig von seiner Größe. Dabei steht die durchschnittliche Körpermasse im umgekehrten Verhältnis zur Lebenserwartung und liegt zwischen 7 und 18 Jahren. Das Durchschnittsalter aller Hunde ist immer abhängig von der Gruppe, die erforscht wird und liegt auch schon bei unter 10 Jahren. Ob Hündin oder Rüde macht keinen Unterschied, kastrierte Hunde werden hingegen im Durchschnitt ein Jahr älter als unkastrierte und Mischlinge haben eine längere Lebensspanne als vergleichbar große Rassehunde.
Warum aber jetzt größere Hunde kürzer leben als kleine Rassen ist wissenschaftlich nicht belegt. Zumindest ist es bei anderen Säugetieren genau umgekehrt, je kleiner das Tier, desto kürzer die Lebenserwartung: So wird eine Maus durchschnittlich 3 Jahre und ein Elefant 70 Jahre.
Merkmale des Alterns
Graue Haare sind meist die ersten sichtbaren Anzeichen des Alterungsprozesses. Dabei spielt Wasserstoffperoxid eine entscheidende Rolle. Wasserstoffperoxid kommt im Organismus normalerweise in geringen Mengen vor und wird von dem Enzym Katalase in Wasser und Sauerstoff aufgespalten. Wenn bei älteren Hunden das Enzym Katalase weniger produziert wird, hat dies zur Folge, dass letztlich die Aminosäure Methionin angegriffen wird, und Methionin ist wesentlich für die Bildung des natürlichen Haarpigments Melanin. Ohne Melanin ist das Haar farblos, durch eingelagerte Luftbläschen kann es weiß erscheinen.
Weitere Merkmale des Alterns sind eine Linsentrübung, dünneres Fell, eine Reduktion der Muskelmasse bei gleichzeitiger Zunahme des Fettgewebes. Das Wahrnehmungsvermögen ist eingeschränkt, Geruchs-, Hör- und Sehsinn verlieren an Funktionsbreite. Der Verdauungsapparat wird träger, und damit wird auch die Ausscheidungskapazität von Giften eingeschränkt. Der Körper kann nicht mehr so viel Wasser speichern wie in früheren Jahren, auch die Knorpel sind davon betroffen. Eine Folge ist, dass die Gelenke und Bandscheiben nicht mehr adäquat auf Kompressionskräfte reagieren können. Das Herz-Kreislaufsystem, Nieren, Leber und Lunge, letztlich alle inneren Organe lassen in ihrer Leistungsfähigkeit nach. Die Tumorrate steigt ständig an. Der Energiebedarf älterer Hunde nimmt um bis zu 40 % ab, gleichzeitig aber kann sich der Körper nicht mehr gut an unterschiedliche Umgebungstemperaturen anpassen.
Generell ist der ältere Hund anfällig für verschiedenste Erkrankungen, die gleichzeitig auftreten, man spricht von einer Altersmultimorbidität. Aber auch ein geistiger Abbau und ein damit verbundener Verlust der Fähigkeit, sich mit einer wandelbaren Umwelt arrangieren zu können, gehören zum Alter und ähneln den Symptomen einer Alzheimererkrankung des Menschen, bei Hund kurz CDS genannt, cognitive dysfunction syndrome.
Was geschieht eigentlich beim Altern
Ein wesentlicher Aspekt des Alterns ist die verminderte Fähigkeit der Zelle, sich zu teilen. Die Erbinformationen der Zellen sind in Form von DNA in Chromosensätzen gespeichert. Zuerst wird die DNA verdoppelt, um anschließend auf zwei identische Tochterzellen aufgeteilt zu werden. Während des Alterungsprozesses kommt es dazu, das dieser Zellzyklus immer langsamer oder auch seltener stattfindet. Es gehen letztlich also mehr Zellen zugrunde, als neue entstehen.
Die Telomeren-Theorie
Eine mögliche Erklärung liefert die Telomeren-Theorie. Um die DNA in den Chromosomen zu schützen, haben die Chromosomenenden eine bestimmte Größe und eine gefaltete Struktur, so genannte Telomere. Man kann sich das in etwa wie eine "Schutzkappe" vorstellen. Die Länge dieser Telomeren wird in der Einheit "1000 Basenpaare" angegeben, kurz kpb. Bei der Zellteilung verkürzen sich die Telomere ständig. Während ihre Anfangslänge bei Menschen bis 20 kpb betragen kann, können die Telomere ab einer Unterschreitung der kritischen Grenze von 4 kpb die Chromosomen nicht mehr ausreichend schützen, sie sind jetzt anfälliger für Mutationen und Kopierfehler.
Damit es jetzt aber nicht zu einer Kopie beschädigter DNA kommt, senden die ungeschützten Chromosomen Signale aus, die eine weitere Zellteilung verhindern. Diese nicht mehr teilungsfähigen Zellen werden als seneszente Zellen bezeichnet. Darüber hinaus werden von den Chromosomen auch Botenstoffe ausgesandt, um das Immunsystem zu veranlassen, seneszente Zellen zu beseitigen.
Bei einem jungen Organismus bessern Reparaturmechanismen Fehler der DNA aus, und defekte Zellen im Gewebe werden durch neue Zellen ersetzt. Je älter der Hund ist, desto weniger werden diese seneszenten Zellen vom Immunsystem erfasst und beseitigt. Auf der einen Seite geschieht das sicherlich, weil auch das Immunsystem Alterungsprozessen unterworfen ist, auf der anderen Seite könnte auch die Möglichkeit bestehen, das seneszente Zellen lernen, dem Immunsystem zu entkommen.
Noch ein wesentlicher Faktor bestimmt die Verkürzung der Telomere: Das Enzym Telomerase. Dieses Enzym kann Telomerenbruchstücke, die bei der Zellteilung entstehen, wieder anheften und somit vor jeder neuen Teilung die Telomere ein Stück verlängern. Allerdings lässt diese Enzymaktivität im Laufe des Lebens nach. So können sich die Zellen eines Neugeborenen noch um die 90 Mal teilen, die eines Menschen mit 70 Jahren hingegen nur noch 20 bis 30 Mal. Aber nicht alle Zellen sind gleichermaßen von der fortschreitenden Verkürzung der Telomere betroffen. So haben beispielsweise Krebszellen relativ kurze Telomere, aber dafür einen sehr großen Vorrat des Enzyms Telomerase. Diese Zellen können sich dadurch wesentlich öfter teilen als andere Körperzellen.
Der Kürzungsvorgang der Telomere unterliegt noch anderen Faktoren. So wurde der Einfluss von Stress auf die Verkürzung der Telomere untersucht. 2014 haben Forscher der Pennsylvania State University, mithilfe einer Blutuntersuchung, eine Zunahme der Verkürzung der Telomere bei Dauerstress festgestellt. Die untersuchte Gruppe bestand aus 9-jährigen Jungen, die aus sozial schwächer gestellten Schichten stammten. Es wird eine Wirkung der Botenstoffe Serotonin und Dopamin vermutet.
Der Einfluss freier Radikale
Eine andere Theorie besagt, dass Alterungsprozesse durch freie Radikale entstehen. Freie Radikale sind Moleküle, die bei verschiedenen Stoffwechselprozessen wie beispielsweise der Atmung entstehen; sie können aber auch aus der Umwelt in den Körper gelangen, z. B. durch Zigarettenrauch, Autoabgase und andere Gifte. UV-Strahlung, Entzündungsprozesse, Medikamente, Bakterien, Viren - all das führt zu einer Vermehrung der Freien Radikalen.
Freien Radikalen fehlt ein Elektron, und das macht sie instabil und aggressiv. Sie versuchen, von anderen Molekülen ein Elektron zu entreißen. Eine Kettenreaktion kann ausgelöst werden, in deren Folge es zu immer mehr funktionsunfähigen Molekülen kommt. Wenn diese Vorgänge die DNA betreffen, kann es zu einer fehlerhaften Kopie kommen, und auch Tumore sollen so entstehen können. Normalerweise schützt sich der Körper gegen diese freien Radikale, indem er sie durch selbst produzierte oder mit dem Futter aufgenommene Antioxidantien unschädlich macht. Auch die vom Hund zu einem gewissen Teil selbst hergestellte Ascorbinsäure, also Vitamin C, gehört zu diesen Schutzstoffen. Allerdings werden nicht alle freien Radikale auf diese Weise entsorgt, und so kommt es im Verlauf des Lebens immer häufiger und zu immer mehr Schäden an zellulären Eiweißen, Fetten und Kohlenhydraten.
Paradoxerweise sind es aber auch gerade diese freien Radikalen, die im Körper gezielt gegen Zellmüll und unkontrolliert wuchernde Zellen und schädliche Mikroben eingesetzt werden. Anscheinend übernehmen freie Radikale im Körper eine gewisse Regulierungsfunktion.
Wie man Alterungsprozesse verlangsamen kann
Möchte man also den durch freie Radikale bedingten progressiven Zerfall der Zellen verhindern, sollte man gerade beim älteren Hund eine nicht übertriebene Zufuhr an Radikalfänger in der Nahrung einsetzen. Sie kommen in vielen natürlichen Nahrungsmitteln vor; die Vitamine C und E spielen dabei eine wichtige Rolle. Im Versuch konnte schon 2001 bei Labrador Retrievern gezeigt werden, dass es nach einer dreimonatigen Zugabe von Antioxidantien zu einer geringeren Schädigung der DNA als in einer Vergleichsgruppe kam. Auch eine verminderte Kalorienaufnahme lässt Hunde länger leben. Dass weniger Kalorien mehr Leben bedeuten, zeigten schon erste Versuche mit Mäusen in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Warum das aber so ist, konnte man sich damals noch nicht erklären.
Man wiederholte diese Versuche auch in den 80er und 90er Jahren und fand erste Hinweise auf mögliche Mechanismen. Der Effekt einer deutlichen Verlängerung der Lebensspanne schien überwiegend auf einer Verminderung des oxidativen Stresses zu beruhen. Diese Ergebnisse lieferten Untersuchungen an Mäusen, Ratten und Hamstern. Später ergaben Forschungsergebnisse mit Rhesusaffen, dass auch hormonelle Veränderungen, wie ein abnehmender Insulinspiegel, zu einem längeren Leben beitrugen. Eine kalorienreduzierte Nahrung schien das Risiko, eine typische Alterserkrankung zu entwickeln, um den Faktor drei zu senken. Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen kamen zur Hälfte weniger vor, und Diabetes gab es in der Gruppe der diäternährten Rhesusaffen gar nicht. 2002 bestätigte sich dann bei einer Versuchsgruppe von Labrador Retrievern, dass sich durch eine 25 %ige Reduktion der Futtermenge im Vergleich zu einer Gruppe ad libitum gefütterter Tiere eine wesentlich höhere Lebenserwartung einstellte und chronische Erkrankungen erst später auftraten.
Ein Blick in die Zukunft
Und damit noch einmal zurück zu den Chromosomen. Nicht mehr teilungsfähige, also seneszente Zellen, geben weiterhin Botenstoffe ab und erzeugen so eine entzündliche Umgebung. Das kann mit ein Grund für die vermehrte Entstehung von Arteriosklerose, Arthritis und sogar Demenz sein.
Forschungen an Mäusen haben 2016 gezeigt, dass diese durch das Entfernen seneszenter Zellen älter wurden als ihre Artgenossen. Die Lebenszeit verlängerte sich dabei durchschnittlich um ein Viertel. Weitere Versuchen ergaben 2017, dass durch das Entfernen dieser Zellen konkret Felldichte und Nierenfunktion verbessert werden konnten, außerdem kam es zu einer Heilung bei Knorpelverletzungen. Seneszente Zellen zu entfernen ist jedoch ein äußerst komplexer Vorgang. Die seneszenten Zellen bedienen sich unterschiedlicher Schutzmechanismen und Wirkstoffe können immer nur ganz bestimmte Zellen erfassen. An der Mayo Clinic, einer amerikanischen non-profit-Organisation, die sich auch in den Bereichen Forschung und Ausbildung betätigt, wurde eine klinische Studie mit chronisch nierenkranken Menschen gestartet.
Ob es jemals gelingen wird, den Alterungsprozess aufzuhalten, ist fraglich. Aber macht nicht auch gerade das Bewusstsein um die Vergänglichkeit jeden Tag umso kostbarer. Unsere tierischen Begleiter haben oft nur eine kurze Lebenserwartung. Dass sie sterben, können wir letztlich nicht verhindern, aber wir sind verantwortlich für die Art und Weise, wie sie vorher mit uns gelebt haben.
Martina Kamp, Tierheilpraktikerin
31.05.2018