Risiko Pferdeweide

Vorsicht - Gras!

Die Vorfreude auf die beginnende Weidezeit könnte für viele Pferdebesitzer/innen getrübt werden – nachweislich ist ein hoher Prozentsatz der Weidegräser mit Gift belastet! So eine ausführliche Darstellung dieser Problematik von Frau Dr. R. Vanselow  http://www.vfdnet.de/index.php/5677-die-weidesaison-beginnt-nicht-ohne-risiko-fuer-die-pferde

Gras-Weideflächen

Wie kommt es zu dieser katastrophalen Futtersituation für unsere Pferde?

Intensive Grünland- und Weidewirtschaft ist heutzutage nicht nur in der Rinderwirtschaft an der Tagesordnung: Auch Pferde werden zunehmend auf verhältnismäßig kleineren Weideflächen bei gleichzeitig hohem Pferdebestand gehalten. Diese Haltung erfordert Gräser mit hohem Wuchspotential, die zugleich trittfest und möglichst „unempfindlich“ sein müssen: Die Grasflächen sollen lange halten! Zuchtgräser wie Deutsches Weidelgras, Rohrschwingel, Wiesenschwingel und Welsches Weidelgras garantieren diese „Vorzüge“. Sie erweisen sich als dürreresistent, verbreiten sich noch bei Nährstoffmangel und halten hohe Trittbelastungen durch Pferde aus. Allerdings: Die genannten Vorteile gehen nachweislich zu Lasten der Pferdegesundheit. Denn diese „vorteilhaften“ Eigenschaften der Weidegräser gründen auf einer Vergesellschaftung (Symbiose) der Gräser mit Gift produzierenden Pilzen, den sog. Endophyten (endo = innerhalb, phyto = Pflanze). Innerhalb der Graskörpers wachsend, von außen unsichtbar, schützen die verschiedenen Pilze mit Hilfe von Pilzwirkstoffen (Giften) ihr Wirtsgras vor Fraßfeinden und Parasiten (Insekten und Würmern). Sie stärken die Widerstandskraft der Pflanze bei Stress, z. B. bei Dürre oder Nährstoffmangel.

Die endophytischen Pilze sind eng verwandt mit Mutterkornpilzen und produzieren daher den Mutterkorntoxinen sehr ähnliche Gifte. Während Mutterkornpilze unter anderem Ergotamin bilden, zählt zu den Endophytengiften beispielsweise Ergovalin – ein Gift, das sich im Tierversuch im Vergleich zu Ergotamin als bedeutend toxischer erwies. Beide Gifte sind Mutterkornalkaloide, sog. Ergotalkaloide.

Unser heimischer Rohrschwingel, ebenso wie Weidelgräser (Lolium), enthalten bei Infektion mit Endophyten erhebliche Mengen an Ergovalin: ein Vielfaches der Giftkonzentration, die zu schweren Vergiftungen führen kann (s. Vanselow). 5 bis 10 g frisches Mutterkorn können bei erwachsenen Menschen zu Atemlähmungen, Kreislaufversagen und zum Tod führen! Die verfängliche Situation für unsere Pferde ergibt sich dadurch, dass die Endophyten für sie wie für uns nicht wahrnehmbar, sozusagen unsichtbar sind. Mutterkorn hingegen ist an der Schwarzverfärbung der Getreideähren und der Getreidesamen klar erkennbar.

Giftwirkung der Mutterkornalkaloide

Mutterkornalkaloide haben ein breites Wirkungsspektrum: Der Name Mutterkorn beschreibt die Beziehung zur Gebärmutter, ein spezieller Inhaltsstoff des Mutterkorns wirkt Wehen anregend, also unter Umständen abtreibend. Charakteristisch ist die starke fruchtbarkeitsstörende Wirkung (verlängerte Tragzeiten, Milchlosigkeit, Fohlen- und Stutensterblichkeit, Verfohlen). Im „Beitrag zur Messe Nordpferd“ (http://www.vfdnet.de/index.php/partner-pferd/weide/4589-kranke-pferde-durch-giftige-graeser) verweist Frau Dr. Vanselow auf die Ähnlichkeit der Symptome zwischen chronisch vergifteten Rindern in den USA und Pferden in Europa mit ECS (Equinem Cushing Syndrom). Hierher gehört auch das Problemfeld Hufrehe! Das Auftreten von Fühligkeit und Lahmheit an den Vorderbeinen zeigte sich bei Pferden nach Fütterungsversuchen mit praxisrelevanten Giftaufnahmemengen. Zu nennen sind auch Probleme mit dem Fellwechsel im Frühjahr. Besonders schwere Vergiftungen können aufgrund von Durchblutungsstörungen an den Extremitätenenden bei Pferden zum Ausschuhen führen. Auch der Verlust von Ohren, Schwänzen und Hoden bei männlichen Tieren wird beobachtet (http://www.vfdnet.de/index.php/partner-pferd/gesundheit/149-Ergotalkaloide).

In der Medizin werden Mutterkorn-Alkaloide wegen ihrer stark halluzinogenen Wirkung eingesetzt. Sie sind Derivate (abgeleitete Stoffe) der Lysergsäure, aus der die Droge LSD gewonnen wird.

Neben Mutterkornalkaloiden stellen auch Lolitreme eine starke Belastung für die Pferde dar: Lolitreme sind neurotoxisch (Nervengifte), sie gehören zur Gruppe der Indolditerpene. Dieses ursprünglich im Englischen Reygras gefundene Endophytengift wurde bekannt durch die „Taumelkrankheit (auch Reygrass staggers) bei Schafen in Neuseeland. Auch auf unseren Weiden stellt Lolitrem B den Hauptwirkstoff in infizierten Weidelgräsern! Daher der Name „Weidelgras-Taumelkrankheit“ als Symptombeschreibung der erkrankten Rinder, Schafe und Pferde: Die Tiere zeigen einen steifen Gang, taumeln, brechen mit der Hinterhand ein, sind ataktisch in Bewegung, leiden unter Krämpfen, Head-Shaking, Desorientierung, Lähmungen des Verdauungstraktes usw. Die Lolitrem B-Konzentrationen im Deutschen Weidelgras sind laut wissenschaftlichen Untersuchungen jahreszeitlichen Schwankungen unterworfen (Dissertation Riemel 2012):

  • Frühjahr, Spätherbst und Winter zeigen geringe Giftgehalte. In den Sommermonaten und im frühen Herbst dagegen liegen hohe Konzentrationen in infizierten Gräsern vor.
  • Aus genannter Dissertation geht hervor, dass 87% der untersuchten Wildpopulationen in Deutschland endophytenbesiedelt sind!
  • Akute Endophytenvergiftungen sind offenbar bei Pferden selten, die chronische, schleichende Vergiftung ist hingegen ein großes Problem.
  • Gestresste Gräser werden giftig. Die größte Giftanreicherung findet sich im unteren Stengelbereich der Pflanze und an den Spelzen blühender Gräser.

Zu starke Beweidung/Überweidung, zu hohe Trittbelastung, falsche oder mangelnde Düngung der Weiden setzen die Pflanze „unter Druck“. Überleben können nur diejenigen Gräser, die mit dieser Stress-Situation am besten umgehen können. Im Klartext: Hohe Endophytenaktivität gleich intensive Giftproduktion! Eine für unsere Pferde gefährliche Problemlösung der Pflanze.

Was kann man tun?

Möglichkeiten, die Pferde vor zu hoher Giftbelastung zu schützen, sind letztendlich auf folgende Maßnahmen beschränkt:

  • nachhaltiges Weidemanagement statt rücksichtsloser Übernutzung von Weideflächen, der Weide eine Erholungspause gönnen, unter Umständen Weidezeit verkürzen und im Herbst rechtzeitig beenden (s. auch Weidemyopathie)
  • viel Heu zufüttern; Heu hat eine deutlich geringere Konzentration an Endophytengiften als frisches Gras – Silage dagegen einen sichtlich höheren Giftgehalt als Heu, wenn auch reduzierte Giftmengen im Vergleich zum Gras (Dr. R. Vanselow, http://www.vfdnet.de/index.php/5677-die-weidesaison-beginnt-nicht-ohne-risiko-fuer-die-pferde).
  • Giftbindemittel supplementieren (behebt aber nicht die Ursache!)
  • Aussäen giftfreier Weidegräser und traditioneller, standortangepasster Wiesenkräuter (in der Praxis allerdings langwierig) – außerdem: Endophyten können auch erfolgreich durch Blattläuse übertragen werden
Eine nachhaltige Verbesserung der Ernährungsbedingungen unserer Pferde wird erst durch konsequentes Umdenken und entsprechendes Handeln im "Einvernehmen" mit der Natur durch die Agrarwirtschaft möglich sein - momentan leider wohl eine illusorische Forderung.


Dr. Frauke Garbers, Biologin







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Empfehlenswerte weiterführende Literatur


Vanselow, R.U. (2011): Giftige Gräser auf Pferdeweiden. Band 1. Westarp Wissenschaften, Hohenwarsleben.

Vanselow, R. U. (2002): Giftpflanzen und Pferde. Eine wechselseitige Anpassung. edition schürer, Kirchheim.

Vanselow, R.U. (2005): Pferdeweide- Weidelandschaft. Westarp Wissenschaften, Hohenwarsleben.

05.09.2017

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