Crin Blanc - das Camarguepferd
Die Camargue, Heimat des Camarguepferdes, ist ein Sumpfgebiet im Rhône-Delta im Süden Frankreichs. Es ist ein karges Land, dessen Flora und Fauna auf die Arten beschränkt sind, denen der salzige Boden und das raue Klima nichts ausmachen. Dementsprechend ist das Camarguepferd ein genügsames Robustpferd. Es wird in seiner Heimat meist extensiv in Herden auf großen Weideflächen gehalten.
Das Camarguepferd, auch „crin blanc“ (frz. „Weißmähne“) genannt, kommt ausschließlich als Schimmel vor. Die Fohlen werden jedoch als Füchse, Rappen oder Braune geboren, um dann nach und nach heller zu werden. In der Regel sind sie mit spätestens 10 Jahren vollständig weiß. Ausgewachsen erreicht das Camarguepferd ein Stockmaß von 1,35 m bis 1,50 m. Es hat einen relativ schweren Kopf mit großen, ausdrucksstarken Augen und kleinen Ohren. Ein mittellanger, manchmal kurzer, aber tragkräftiger Rücken und gut angesetzter Hals sind ebenso charakteristisch wie seine kräftigen, trockenen Gliedmaßen, die volle Mähne und sein üppiger Schweif.
Der historische Ursprung des Camarguepferdes ist nicht endgültig geklärt. Eine Theorie vertritt die Abstammung vom sogenannten Solutrépferd, einem während der Steinzeit vorkommenden Wildpferd. Die Einmischung des Menschen in die Fortpflanzung des Camarguepferdes begann vermutlich während der Besetzung der Provence durch die Römer. Durch seine Ausdauer und Genügsamkeit empfahl sich das Camarguepferd insbesondere auch für den Einsatz in der Armee.
Um 730 fanden schließlich die Mauren mit ihren Berbern den Weg nach Südfrankreich. Auch sie hinterließen ihre Spuren im Blut des Camarguepferdes. Diese sind zum Teil heute noch erkennbar, unter anderem durch gelegentliches Auftreten einer leichten Ramsnase und einem tief angesetzten Schweif.
Während der Residenz der Päpste in Avignon im 14. Jahrhundert wurde vor allem die Farbe („Unschuldsweiß“) mit zusätzlich weißen Hufen als Zuchtziel gewichtet. Andere Zuchtziele wie Rittigkeit, Gesundheit und Anpassung an den kargen Lebensraum dürften in dieser Zeit vernachlässigt worden sein.
Im 19. Jahrhundert unter Napoleon wurden in großer Zahl Camarguestuten mit Hengsten anderer Rassen gekreuzt, um Remonten für die Kavallerie zu produzieren. Aus Sicht der Kavallerie lieferten diese Kreuzungen hervorragende Nachzuchten. Sie führten jedoch beinahe zum Verfall der Rasse.
Als 1928 die staatlichen Deckstellen geschlossen wurden, überließ man die einheimischen Züchter sich selbst. Sie verfolgten nun selbst definierte Zuchtziele wie etwa die Eignung für die Arbeit mit den schwarzen Camarguestieren und für den Einsatz in der Landwirtschaft. Aber auch eine rigorose natürliche Selektion wirkte auf die Herden und brachte nach und nach den robusten, ursprünglichen Typ wieder zum Vorschein. In diese „Zeit der Erholung“ fällt auch das Engagement des angesehenen Herdenbesitzers Marquis Folco de Baroncelli-Javon, der sich für die Anerkennung des Camarguepferdes als eigenständige Rasse stark machte. Um die Traditionen der Camargue zu bewahren, gründete er 1909 die Nacioun Gardiano, eine Zunft der Gardians (berittene Stierhirten), führte wieder Trachten ein und stärkte damit das Bewusstsein für die lokalen Traditionen.
In den 1960er Jahren kam es schließlich zur Einrichtung eines Stutbuches durch die Züchtervereinigung in Zusammenarbeit mit der Naturschutzbehörde sowie der staatlichen Gestüteverwaltung. 1978 fielen die ersten Fohlen aus eingetragenen Eltern und damit die ersten mit der Rassebezeichnung „Camargue“, die Rasse wurde endgültig staatlich anerkannt.
Da das touristische Interesse an den provençalischen Traditionen und dem unblutigen Stierkampf enorm stieg, wurden immer mehr Pferde benötigt. Das Camarguepferd wurde vielfältig eingesetzt: beim Treiben der Stiere durch die malerischen, vom Krieg weitestgehend unzerstörten Orte römischen Ursprungs in die Arena hinein („abrivado“) und wieder hinaus auf die weitläufigen Weideflächen („bandido“), beim Aussortieren der Jungstiere zum Brennen („ferrade“), beim Treiben von Stutenherden („roussataïo“) und bei Prozessionen an Feiertagen. Diese alten Bräuche werden heute noch praktiziert und haben das Camarguepferd zu einem festen Bestandteil der provençalischen Kultur gemacht.
Der Einsatz des Camarguepferdes als Stierpferd schlug sich auch in der Zucht nieder. Es wurde (und wird heute noch) auf Rittigkeit, Wendigkeit, Gehorsam und Mut selektiert, um Pferde zu erhalten, die effektiv an den aggressiven, schnellen Stieren arbeiten und so das Verletzungsrisiko minimieren.
Die Arbeit mit den Stieren führte zur Etablierung einer speziellen Gardian-Reitweise mit besonderen Ausrüstungsgegenständen. Beispielsweise kommt ein Gardiansattel mit hohem Vorder- und Hinterzwiesel sowie geschlossenen Korbbügeln zum Einsatz, der jederzeit einen festen und sicheren Sitz gewährleistet. Geritten wird einhändig auf Camargue-Kandare, ein Stangengebiss mit traditionell unbeweglichen Anzügen. Heute gibt es jedoch auch Varianten mit beweglichen Anzügen und/oder gebrochenem Mundstück.
In der Jungpferdeausbildung kommt zusätzlich das Caveçon zum Einsatz. Hierbei handelt es sich um einen leichten Kappzaum, bestehend aus einer mit Leder ummantelten Gliederkette, in der drei Ringe befestigt sind. In die beiden seitlichen Ringe rechts und links werden die offenen Caveçon-Zügel eingeschnallt. Dies ermöglicht eine das Maul schonende, seitliche Einwirkung über den Nasenrücken während der Ausbildung. Der mittlere Ring wird zum Longieren verwendet. Ziel der Ausbildung ist ein gymnastiziertes, im natürlichen Gleichgewicht stehendes Pferd, das auf indirekte Zügelführung (neck-reining) reagiert.
Verfügt das Pferd auch noch über den angeborenen cow-sense, d. h. erahnt es die Aktionen des Stieres im Voraus, so kann sich der Gardian auf einen perfekten Mitarbeiter an den Stieren verlassen.
In der Camargue entwickelten sich im Laufe der Zeit verschiedene Reiterspiele, bei denen die Gardians ihr Können sowie Schnelligkeit und Wendigkeit ihrer Pferde unter Beweis stellen. Beim "jeu d‘oranges" (Orangenspiel) beispielsweise muss der Reiter im vollen Galopp eine Orange aus der Hand einer Arlesienne (Dame in der Tracht aus Arles) aufnehmen. Beim "jeu de bouquet" (Blumenstraußspiel) muss der Gardian einen Blumenstrauß gegen Verfolger verteidigen, indem er ihnen in rasanten Wendungen ausweicht. Die Konkurrenten hingegen versuchen ihm den Blumenstrauß abzujagen, um das Spiel für sich zu entscheiden. Bei allen diesen traditionellen Spielen gilt es, die Aufmerksamkeit der Arlesiennes auf sich zu ziehen, die für ihre Anmut und Schönheit bekannt sind.
Außerhalb seiner Heimat ist das Camarguepferd weniger verbreitet, allerdings erfreut es sich in Deutschland wachsender Beliebtheit. Seit 1976 gibt es den "Camarguepferde Deutschland e. V.", der in Kooperation mit den deutschen Zuchtverbänden die Zucht von Camarguepferden in Deutschland betreut. Wie in Frankreich beginnen auch in Deutschland die Namen der Fohlen jedes Jahr mit einem bestimmten Buchstaben, der sich nach der Reihenfolge im Alphabet richtet. So kann man jederzeit aus dem Namen eines Camarguepferdes auf sein Alter schließen.
Der "Camarguepferde Deutschland e. V." berät in allen Fragen rund um das Camarguepferd, stellt Rasse, Reitweise, Ausrüstung und Tracht bei Messen und Shows einem breiten Publikum vor und richtet Turniere in der Gardian-Reitweise nach französischem Reglement und mit französischen Richtern aus.
Weitere Informationen finden sich im Internet auf der Homepage des Camarguepferde Deutschland e. V. unter www.camarguepferde-deutschland.de
Kerstin Stock
23.07.2017