Arbeit mit jungen Pferden Teil 1
Voraussetzung für die Arbeit mit Pferden im Allgemeinen und mit jungen Pferden im Besonderen muss immer der Gedanke an die Sicherheit von Mensch und Pferd sein. Pferde – so schön und überwiegend nachgiebig sie sein mögen – sind von Natur aus doch deutlich stabiler gebaut als wir und dementsprechend auch untereinander im Umgang etwas grober.
So kann die Aufforderung zum Spielen zwischen Artgenossen – z. B. das spielerische Beißen in Vorder– oder Hinterbeine – auf Menschen übertragen – durchaus böse Quetschungen oder gebrochene Knochen bedeuten! Viele Pferde tragen teils schwere Verletzungen davon, die von unachtsam führenden Menschen verschuldet wurden! Seien Sie sich dessen bewusst – viele Unfälle ließen sich vermeiden, wenn Menschen, die mit Pferden umgehen, nicht im Laufe der Zeit den Respekt vor den Reflexen und Kräften, die diesen +/- 500 kg Lebendgewicht innewohnen, verlieren würden! Und leider sind es häufig gerade Menschen, die routinemäßig mit Pferden zu tun haben, die solche überflüssigen Unfälle auslösen.
Ein Pferd sollte grundsätzlich von Anfang an Respekt vor Menschen beigebracht bekommen; so wird das Risiko von Verletzungen für beide Seiten verringert. Und das gilt nicht nur für uns und unser Pferd. Vergessen Sie bitte nicht, Sie können den Menschen, die – meist selbständig und täglich – berufsbedingt mit Pferden umgehen, das Leben deutlich erleichtern, wenn Sie Ihrem Tier ein Mindestmaß an Respekt beibringen, nämlich Tierärzten und Schmieden, und nicht zuletzt auch den unzähligen Helfern in Pensionsställen, die z. B. für den täglichen Koppelgang Ihres Vierbeiners sorgen!
Um einem Pferd den Respekt vor einem Menschen beizubringen, ist ganz elementar, dass das junge Pferd von Anfang an lernt, den Menschen an seiner Seite zu jeder Zeit wahrzunehmen und auch in Schrecksituationen einen gewissen Sicherheitsabstand nicht zu unterschreiten. Im Laufe der ersten Ausbildungsphase soll das Tier lernen, mir diesen Respekt zu zollen und eine rangniedrigere Stellung einzunehmen. Später übertragen die Tiere meist schnell das Erlernte auch auf andere Menschen.
Ziel meiner Ausbildung ist es also, Pferde so zu schulen, dass sie für (fast) jeden Menschen relativ einfach zu händeln sind, nicht zuletzt auch deswegen, weil ein umgängliches Pferd immer eine bessere Aussicht auf ein entspanntes, stressfreies Leben hat.
Und wie kommt man nun dahin?
Meine Grundidee beim Umgang mit Tieren ist, dem Tier eine Art Deal anzubieten: Ich sorge für eine möglichst artgerechte Haltung, ich gewährleiste also eine Absicherung möglichst vieler Grundbedürfnisse, und biete damit Sicherheit an. Dafür erwarte ich grundsätzlich Respekt vor meiner Person – auch in Situationen, die für das Pferd unverständlich oder sogar ängstigend wirken. Diesen Deal biete ich dem Pferd bei den ersten Kontakten mit mir, z. B. beim – simpel erscheinenden – Führen von A nach B an. Voraussetzungen, um einen guten Start zu schaffen, sind dabei:
- Ich nehme mir Zeit. Ich habe keine weiteren Termine und gehe in diese erste Situation mit der Einstellung „… und wenn es die ganze Nacht dauert“. Natürlich wird es in den seltensten Fällen tatsächlich so viel Zeit brauchen, aber ich erreiche bei mir selbst eine entspannte Haltung und strahle Gelassenheit aus, die von den Pferden wahrgenommen wird.
- Ich sichere uns beide ab: Ich trage feste Schuhe, funktionelle Kleidung und habe einen langen Strick dabei, der dem Pferd einige Meter Rückzugsmöglichkeit bietet.
- Ich suche einen Weg aus, den das Pferd grundsätzlich schon kennt – meist die Stallgasse – und räume potentielle Gefahrenquellen wie Schubkarren aus dem „Arbeitsbereich“ weg.
- Das Pferd sollte sich in einer entspannten Situation seines Alltags befinden, also nicht gerade kurz vor der Fütterung oder dem Koppelgang oder sonstigen „Highlights“ des Stallalltags stehen, damit es sich uneingeschränkt auf die Arbeit mit mir konzentrieren kann.
Und dann der Beginn: Ich nehme das junge Pferd an den Strick und gehe aufgerichtet und den Blick in Bewegungsrichtung in entspanntem Tempo los. Dabei habe ich den Weg vor Augen, aber kein wirkliches Ziel. Ich suche mir einfach eine Strecke aus, auf der öfter mal das „Inventar“ die Position wechselt, wie z. B. Strohballen, die an verschiedenen Stellen abgelegt werden und nach dem Einstreuen wieder vom Gang verschwunden sind. Gern wird auch von Vorbeigehenden auf solche Ballen kurz etwas abgelegt wie Eimer, Sättel oder Plastiktüten. Für die meisten Pferde ist schon das ein Grund, genauer hinzusehen. Zeigt das Pferd mir durch sein Verhalten eine solche Stelle an, haben wir unseren Arbeitsplatz für heute gefunden, und ich bewege mich auf die dem Pferd unheimlich erscheindende Stelle zu.
Wenn ich merke, das Pferd stutzt oder verlangsamt die Bewegung vor einem Strohballen mit Plastiktüte beispielsweise, so lasse ich es auf die „sichere“ Seite treten, sorge also dafür, dass ich zwischen Strohballen und Pferd gehe.
Das hat zwei große Vorteile: Zum einen sage ich dem Pferd: „Sieh her, ich habe keine Angst vor dieser Gefahr, ich bin der Mutigere von uns beiden, ich könnte Dir ein guter Chef sein.“ Zum zweiten vermeide ich so, dass das Pferd vor Schreck einen Satz weg vom Strohballen und mich in eine kritische Situation brächte.
Beim Gehen achte ich darauf, dem Pferd mit dem Strick immer Luft zu lassen, damit es den Abstand zum Strohballen selber wählen kann und sich nicht gezwungen fühlt, näher als nötig an die vermeintliche Gefahr heran zu müssen. Ist die Situation für das Pferd so unheimlich, dass es ganz zum Stillstand kommt und ein Weitergehen verweigert, so gehe ich selbst ganz gelassen auf die „Gefahr“ zu, lasse dabei immer den Strick durchhängen, berühre in dem Fall den Strohballen mit meiner Hand und bleibe entspannt daneben stehen. Das Pferd darf mich einfach beobachten. Ohne ihm direkt in die Augen zu sehen, gebe ich mich desinteressiert und warte darauf, dass es von sich aus zu mir herantraut.
Für jede Bewegung in Richtung des Hindernisses lobe ich das Pferd mit der Stimme, ohne meine Position zu verändern. Alle Versuche des Tieres, sich vom Hindernis zu entfernen, ignoriere ich. Weicht das Pferd rückwärts aus bis der Strick angespannt ist, folge ich ihm, um aber sofort wieder auf die „Gefahr“ zuzugehen, wenn das Pferd sich halbwegs entspannt hat. Auf keinen Fall baue ich mit Schimpfen oder treibenden Helfern Druck auf und zwinge damit das Tier in die für es beängstigende Situation.
Ich möchte, dass es seine Angst selber überwindet und für sich entscheidet, in meiner Begleitung auf die „Gefahr“ zuzugehen. Hier ist natürlich von meiner Seite Geduld erforderlich. Aber meine Erfahrung hat mich gelehrt: Pferde sind neugierig, und sie langweilen sich auch recht schnell. Beides nutze ich in dieser Situation aus. Die Neugierde lässt sich recht leicht wecken, wenn ich dem Pferd, das möglicherweise schon Entlastungshaltung im sicheren Abstand eingenommen hat, den Rücken zudrehe und mich – außer seiner Sicht – anstatt mit ihm, mit dem Ballen befasse (z. B. Halme zähle, im Stroh raschele, anfange, etwas zu essen oder mich mit irgendjemand zu unterhalten). Das Pferd ist nun scheinbar nicht mehr Zentrum des Geschehens und möchte wieder an der Situation teilhaben – seine Neugier ist geweckt, und es wird sich nähern.
Genauso ist es mit der Langeweile: Am Strick irgendwo zu stehen, und sich der Situation nicht entziehen zu können, ist auf Dauer einfach langweilig. Früher oder später wird das Tier auf die Idee kommen, um nicht den Rest des Tages ohne Fressen, Saufen und Sozialkontakte hier rumstehen zu müssen, dass es besser ist, sich auf mich und die Gefahr zuzubewegen. Ich muss nur den längeren Atem haben und abwarten können.
Bewegt es sich dann tatsächlich in meine Richtung, lobe ich es über die Maßen. Das Ziel ist erreicht, wenn das Pferd mit Nase oder Lippe die „Gefahr“ berührt. Dann hat es so viel Vertrauen zu der Situation erlangt, dass es für sich eine Verletzungsgefahr durch den Gegenstand relativ sicher ausschließt. Ist das erreicht, lobe ich und entlasse das Pferd aus der Situation, indem ich entspannt mit ihm weiterlaufe.
Jetzt muss ich entscheiden: Ist der Strohballen schon so schrecklich gewesen, dass es das Pferd viel Überwindung gekostet hat, mir zu folgen, so gehe ich ein Stück vom Ballen weg, drehe dann um, und wir gehen für heute nur noch einmal von der anderen Seite an dem Ballen vorbei. (Übrigens: Wundern Sie sich nicht, wenn das Pferd sich auf dem Rückweg wieder nicht an denselben Ballen herantrauen sollte: Für das Pferd sieht derselbe Ballen aus einer anderen Perspektive oft auch ganz neu aus. Von dieser Seite aus kann er wieder ganz genau so gruselig wirken wie auf dem Hinweg, allerdings beschleunigt die Aussicht auf „zu Hause“ die allermeisten Pferde …)
Hat das Pferd seine Angst schneller überwunden, kann ich noch eine weitere „Gruselstelle“ angehen. Danach beende ich aber für das erste Mal die Arbeit auf jeden Fall, denn junge Pferde haben nur eine begrenzte Aufnahmefähigkeit und Geduld. Mein Ziel ist immer, jede Arbeit mit einem positiven Erlebnis abzuschließen. So entlasse ich das Pferd in seine „Freizeit“.
Ergebnis dieser Arbeit soll sein: Das Pferd lernt, sich Gefahren entspannter anzunähern, wenn ich es begleite. Es ist auf dem Weg, sich in meiner Nähe sicher zu fühlen und wird später meine Nähe von selber suchen, wenn ihm etwas Unheimliches begegnet.
Barbara Häckell, Ausbildung für Pferd und Reiter, Benzweiler
05.09.2017
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