Depressionen
- tierisch und menschlich
Tiere haben Gefühle. Wer hätte das gedacht? Diese Erkenntnis scheint sich auch in der Pharmaindustrie herumgesprochen zu haben. Denn wer Gefühle hat, kann möglicherweise psychisch erkranken – und dagegen gibt es bekanntlich Medikamente, sogenannte Psychopharmaka.
In der Humanmedizin werden schon seit langem Antidepressiva verordnet. Ob immer mit entsprechender Berechtigung sei dahingestellt …
Gleiches gilt offenbar für Hundepharmazeutika: Bereits vor knapp 20 Jahren begann der Markt für die „tierischen“ Medikamente zu wachsen. Für Hunde-Psychopharmaka beispielsweise gegen Ängste (Trennungsangst, Schussangst), Schwermütigkeit, Eifersucht oder gar gegen das „Cognitive Dysfunction Syndrome“ (Hunde-Alzheimer mit Schlafstörungen, Herumirren, verändertem Begrüßungsverhalten).
Aber gibt es wirklich Depressionen bei Hunden?
Einen dauerhaften Verlust positiver Gefühle mit Symptomen wie Niedergeschlagenheit, Interesslosigkeit, fehlende Freude, Schlaflosigkeit, Konzentrationsstörungen u.a.? Laut Definition handelt es sich um einen „negativen Gefühlszustand“, der mindestens 2 Wochen andauert. Den sich ein Tier in freier Natur im Übrigen gar nicht „leisten“ könnte. Zwei Wochen lang ausbleibende Nahrungssuche würden seine Überlebenschance stark verringern!
Und wie will man diesen „Seelenzustand“ beim Hund sicher feststellen? Menschen kann man befragen, Hunde hingegen nicht. Stattdessen müssen die Tiere in ihrem Verhalten analysiert, ihre Mimik und Körpersprache beobachtet werden. Es gibt allerdings ganze Kataloge mit Symptomen, die auf eine Hunde-Depression hindeuten: Ein leerer Blick, Desinteresse an der Umgebung, mangelnde Reaktion auf Geräusche (Ohrenbewegungen), fehlende Leistungsbereitschaft, Hängenlassen von Kopf und/oder Rute, um nur einige zu nennen. Und eben Symptome von Trennungsangst: Herrchen und/oder Frauchen gehen morgens aus dem Haus zur Arbeit, der Hund bleibt allein. Das Gefühl von Verlassenheit kann beim Tier völlig unterschiedliche Verhaltensmuster auslösen. Vom Verwüsten der Wohnung über das Ausscheiden von Kot und Urin bis zum unentwegten Jaulen und Bellen und anderes mehr. Kein Tierhalter – und Nachbar! – wünscht sich ein Zusammenleben in dieser Form auch nur länger als einen Tag! Dieser Misere schnell Abhilfe zu schaffen, ist verlockend – und offensichtlich auch möglich.
Allerdings fragt man sich, weshalb Verhaltensforscher erst jetzt auf die Idee kommen, der tatsächlichen Wirkung von Hunde-Antidepressiva nachzugehen …Forscher um Christos Karagiannis von der University of Lincoln/ England haben in ihren Studien mit Hunden offenbar eine zentrale Frage klären können: Haben Psychopharmaka mit dem Wirkstoff Fluoxetin (Serotoninwiederaufnahmehemmer) bei Depressions-„verdächtigen“ Hunden nur eine Angst dämpfende Wirkung (wie bisher vermutet) oder auch einen stimmungsaufhellenden Effekt? Letzteres scheint tatsächlich der Fall zu sein, wie die Untersuchungen der Forscher in England an mehreren Hunden bestätigten.
Ein bekanntes Fluoxetin-haltiges Antidepressivum in der Humanmedizin ist Prozac. Das tiergerecht veränderte Äquivalent in der Veterinärmedizin heißt Reconcile (Ausgleich, Versöhnung). Der Hersteller, der Pharmakonzern Eli Lilly, entwickelte Reconcile für Hunde mit Verhaltensauffälligkeiten aufgrund von Trennungsängsten. Zusätzlich zum Medikament wird ein speziell von Eli Lilly entwickeltes Trainingsprogramm für die Tiere empfohlen. Dieses Konzept basiert auf entsprechenden Medikamentenstudien http://www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document_library/EPAR_-_Summary_for_the_public/veterinary/000133/WC500068248.pdf
Es gab Placebo-kontrollierte Studien sowohl mit Hunden, die Reconcile und eine gleichzeitige Verhaltenstherapie erhielten, als auch mit Hunden, die ausschließlich das Medikament bekamen. Es zeigte sich eine stärkere Verbesserung der Symptome bei Behandlung mit Reconcile und begleitender Verhaltenstherapie.
ABER: Man vermisst den Untersuchungsansatz ausschließlich mit Verhaltenstherapie! Unter Umständen hätte sich eine Symptomverbesserung bei den Hunden völlig ohne Medikament ergeben!
Ursachen
Die Ursachen von Depressionen sind bekanntlich vielfältiger Natur: Psychische und psychosoziale Faktoren stehen mit körperlichen und auch genetischen Einflüssen in Wechselwirkung und können sich gegenseitig verstärken.
Somit kommen Stoffwechselstörungen des Gehirns (Serotoninmangel) als Ursache in Frage ebenso wie Funktionsstörungen der Schilddrüse (Unter- oder Überfunktion). Chronischer Stress, akute psychische Traumata (Verlust des Freundes, Partnertieres) oder Infektionskrankheiten haben eine erhöhte Ausschüttung des Stresshormons Cortisol zur Folge. Eine erhöhte Konzentration dieses Hormons führt nachweislich zu Verhaltensänderungen, wie sie auch für Depressionen charakteristisch sind (verstärkte Angstreaktionen, Denk-, Schlaf- und Appetitstörungen).
Wesentlichen Einfluss haben auch die Lebensumstände des Hundes. Ist die Haltung artgerecht, d. h. hat der Hund genügend Auslauf, Kontakt, frische Luft und interessante Beschäftigung? Oder ist er einfach „abgestellt“ in beengter Umgebung in der Wohnung, im Zwinger? Wird er artgerecht ernährt? Auch zu hohe Leistungsanforderungen (Stress) an den Hund – offenbar relativ häufig der Fall – können Symptome der Depression hervorrufen.
Der Aufklärungsbedarf unter Hundehaltern ist vermutlich groß.
Und die Nebenwirkungen von Reconcile?
Anorexie (eigentlich Magersucht, hier: starke Gewichtsabnahme durch Appetitlosigkeit), Teilnahmslosigkeit, Harnwegsstörungen (Blaseninfektionen, Beschwerden beim Harnabsatz), Koordinations- und Orientierungsstörungen u. a.
Da möchte man seinem Hund wieder Interesse und Freude an seinem Umfeld schenken und führt ihn in die Teilnahmslosigkeit …
Eines sollte man als Tierhalter reflektieren: Der Markt für Hundepharmazeutika wächst – und das schon seit langem! Wirkstoffe, die eigentlich für den Menschen gedacht sind, werden für Tiere angepasst – Umwidmung genannt.
Die Tierhalter sind im Gegensatz zu früher eher bereit, für ihre tierischen Familienmitglieder tief in die Tasche zu greifen, Medikamente zu kaufen. Dies ist der Pharmaindustrie selbstverständlich bewusst – sie hat längst geschaltet. Denn Forschungsgelder für Medikamente werden besser wieder hereingeholt, wenn sich ein Wirkstoff „zweitverwerten“ lässt. „Selbst wenn nur zwei Millionen Hunde mit Trennungsängsten weltweit behandelt würden, wäre das sicher ein Markt. Die Tierhalter zahlen dann 50 Dollar im Monat allein dafür.“
http://www.heise.de/tr/artikel/Prozac-fuer-den-Hund-279659.html
DieseQuelle stammt aus dem Jahr 2007.
Lösungsansätze
Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: Unbestritten ist wohl der vorübergehende Einsatz eines Antidepressivums, um beispielsweise einem seelisch geschädigten Hund, aus schlimmsten Verhältnissen kommend, die Eingliederung in ein gesundes, „normales“ Familienleben überhaupt zu ermöglichen.
Jedoch sollte man neben einer Verhaltenstherapie auch über natürliche und alternative Behandlungen nachdenken: Bachblüten, Homöopathie, Schüssler-Salze und Phytotherapie (Johanniskraut, Rauwolfiawurzel u. a.) haben sich bei Depressionen sehr bewährt. Ebenso ist auf eine ausreichende Versorgung mit B-Vitaminen, Vitamin C und D und einen ausgeglichenen Mineralstoffhaushalt zu achten und eine Übersäuerung des Hundes zu vermeiden. Und zu guter Letzt hat sich die Akupunktur als sehr wirkungsvoll bei Depressionen herausgestellt.
Dr. Frauke Garbers, Biologin
Quellen
http://www.heise.de/tr/artikel/Prozac-fuer-den-Hund-279659.html
http://www.nippers.de/2012/07/koennen-auch-hunde-unter-depressionen-leiden/
http://www.apotheken-umschau.de/Depression/Depressionen-Ursachen-32754_2.html
01.09.2017