Der Haus-Esel
Ein Equide - aber bei weitem kein Pferd!
Die Überschrift zu diesem Artikel hätte auch lauten können „Der Esel“. Doch das wäre ein wenig irreführend, denn etwa 95 % der Population sind sogenannte „Hausesel“, deren Typ von Region zu Region etwas variiert. Jedoch nicht gravierend.
Gravierend anders hingegen sind die restlichen maximal 5 % der Population, nämlich die Riesenesel und die Mini-Esel. Beides sind extreme Spezialzuchten mit teilweise völlig anderen körperlichen und auch Wesenseigenschaften als die des normalen Hausesels. Diese Rassen wurden meist auf einer sehr schmalen Zuchtbasis für ganz bestimmte Zwecke gezüchtet, während der „gemeine Hausesel“ immer und überall fast ausschließlich das Tier armer Leute war und sich eher vermehrte als gezüchtet wurde. Doch auch bei dieser über Jahrtausende gehenden Vermehrung gab es eine gewisse Selektion, so dass bestimmte Eigenschaften geblieben und fast allen Hauseseln in weit größerem Ausmaß zu eigen sind als den Spezialzuchten, über die gesondert berichtet werden müsste.
Da die Hausesel (weiterhin der Einfachheit halber Esel genannt) nicht so systematisch gezüchtet – oder auch verzüchtet – wurden wie die Pferde, haben sich viele Eigenschaften erhalten, die noch aus ihrer Urheimat stammen und sich für die Tiere als praktisch erwiesen, wie z. B. ihre vorsichtige und überlegende Art, die einen „Kadavergehorsam“ ausschließt. Das ist bei vielen Menschen gar nicht beliebt, wird nicht verstanden und führte zu einem der vielen dummen Vorurteile, mit denen der Esel gesegnet ist…
Prof. Vogel schreibt in seinem sehr empfehlenswerten Buch „Onos lyras – der Esel mit der Leier“:
Sollte es jemals ein Buch über die Vorurteile in der Menschheitsgeschichte geben, so muss dem Esel darin ein größeres Kapitel gewidmet werden.
Recht hat er – kaum ein Tier ist so verkannt wie der Esel.
Das Ursprungsgebiet
Esel gehören zu den Equiden, also den Pferdeartigen. Ihre Vorfahren lebten in der afrikanischen Steppe, und von dort wanderten im Laufe der Evolution mehrere Gruppen ab. Einige nach Kleinasien, eine andere in die gebirgigen nordafrikanischen Steinwüsten. Diese Region formte über Jahrtausende ein Tier, das mit minimalem Futter auskommt, das hochintelligent und in weit geringerem Maße ein Fluchttier ist als das Pferd, dafür aber durchaus wehrhaft. In diesen Steinwüsten gibt es kaum Gras. Die Hauptnahrung der dortigen Pflanzenfresser sind Blätter, Rinden und dünne Äste von Sträuchern, dazu eine große Vielfalt an Kräutern.
Relativ „fettes“ und einheitliches Gras wie die hiesigen Wiesen findet man auch heute dort nicht. Das erklärt die Anspruchslosigkeit der Esel, die ihnen in der Domestikation im nahrungsreichen Europa oft genug zum Fluch wird.
Diese gebirgigen Steinwüsten sind gefährlich für Pflanzenfresser. Große Beutegreifer lauern überall, sodass die Esel ständig auf der Hut sein und ihre Umgebung unter Kontrolle haben müssen. Optisch geht das nicht, dazu ist die Gegend zu vielfältig. Überall hohe Steinhaufen, Schluchten und Hänge, nichts wirklich Übersichtliches. Bleibt also das Gehör; und so ist es nicht verwunderlich, dass die Esel so große und sehr bewegliche Ohren haben. Große Teleskope erfassen ja auch mehr als kleine.
Taucht ein Beutegreifer auf, muss der Esel in dieser Umgebung blitzschnell entscheiden, was er tut: Fliehen oder bleiben und sich notfalls verteidigen. Denn im Gegensatz zu dem hochspezialisierten Fluchttier Pferd, das in der weitläufigen Steppe nur die Möglichkeit der Flucht hat, ist das in dieser Umgebung die schlechteste Möglichkeit zum Überleben: Schon nach einigen Metern könnte es steil den Hang hinauf oder tief hinunter in eine Schlucht gehen, ganz zu schweigen von den vielen Stolpermöglichkeiten durch große Steinblöcke, schmale Erdspalten usw. Aus diesen Situationen heraus entwickelten sich die ruhige Überlegtheit des Esels und seine Intelligenz, aber auch seine Wehrhaftigkeit. Ein Esel wägt immer ab.
Das Wesen des Esels
Esel sind sanfte Tiere, die den Menschen durchaus zugetan sind. Ihre Bewegungen sind nicht schnell, Hast und Eile sind ihnen fremd. Sie handeln streng ökonomisch – kein Schritt zu viel. Das extreme Bewegungsbedürfnis der Pferde fehlt ihnen; sie bewegen sich vorzugsweise im Schritt vorwärts, das aber auch als Arbeitstier meistens in einem sehr fleißigen Tempo.
Esel sind vorsichtig. Eine neue Umgebung wird gleich systematisch erkundet – normalerweise kennt ein Esel die Grenzen seines neuen Habitats innerhalb kurzer Zeit, weil er sie Schritt für Schritt abgeht, immer am Zaun oder der Mauer entlang. Alles wird vorsichtig, aber sehr sorgfältig überprüft. Manchmal kann man direkt „sehen“, wie es in dem Eselkopf arbeitet, wenn er auf etwas Fremdes oder Unheimliches stößt. Dann dauert solch eine Überprüfung schon einmal länger, bis der Esel das Neue eingeordnet hat. Ist die Umgebung sicher, kommt der Esel zur Ruhe. Bis er allerdings in einem neuen Zuhause „angekommen“ ist, bis er sich völlig sicher fühlt, kann es Monate dauern. Ein unerfahrener Eselbesitzer wird das kaum bemerken. Erfahrenere hingegen spüren beim Esel über lange Zeit noch eine gewisse Vorsicht und Unnahbarkeit. Irgendwann legt sich das: Der Esel ist angekommen.
Im Gegensatz zu Pferden sind die Esel nicht streng hierarchisch geprägt. Auch das liegt an ihrem Ursprungsgebiet: Steinwüsten im Hochgebirge sind nicht für die Flucht ganzer Herden geeignet. So erstaunt es nicht, dass es hier keine Herdenbildung gibt. Die Esel leben in kleinen bis Kleinstgruppen, oft nur die Stute mit ihrem Fohlen, gelegentlich einige Stuten zusammen, mehr gibt die Umgebung auch nicht an Nahrung her. Die Hengste bilden kleine Junggesellengruppen und nähern sich den Stuten nur zur Paarungszeit, wobei die Paarung allerdings außerordentlich ruppig verläuft. Das liegt aber an den Stuten, denn nicht jede Stute akzeptiert jeden Hengst und wehrt ihn dann mit Verve ab. Die Damen sind recht emanzipiert.
Unter diesen schwierigen Lebensverhältnissen entwickeln sich ruhige und starke, aber auch wehrhafte Charaktere mit einem gesunden Selbstbewusstsein. Ein in die Ecke gedrängter Esel ist kein Spaß, denn er greift seinen Gegner mit Hufen und Zähnen an und mit einer Wut und einem Körpereinsatz, die beeindruckend und äußerst wirksam sind; auch ein kleiner Esel trifft hundertprozentig und hart, wenn er gezielt mit seinen winzigen Hufen austritt, was er zudem im Gegensatz zum Pferd auch noch seitlich kann. Ein altes Wort sagt: „Einem Pferd befiehlt man, einen Esel bittet man, mit einem Maultier verhandelt man.“ Beherzigt man dieses, bietet man einem Esel in verzwickten Situationen auch einmal eine Lösungsmöglichkeit an und verlangt keinen sturen Gehorsam, dann wird man mit ihm auskommen. Esel handeln gern auf Augenhöhe und treffen ihre Entscheidungen in schwierigen Situationen gern selber. Und das hat sich bewährt. Die paar Minuten Zögern vor einem ihnen unsicher erscheinenden Weg, der kleine Schlenker um eine Pfütze, die ihnen nicht geheuer ist oder gar die totale Verweigerung, durch einen Bach zu gehen, sondern unbedingt darüber springen zu müssen, lohnen sich immer für den Besitzer.
Denn der Esel denkt sich immer etwas dabei. Zwingt man ihn tatsächlich mit brutaler Gewalt auf einen ihm unsicher erscheinenden Weg, wird er den nur widerwillig gehen, und durch den Zwang erscheint er ihm nicht sicherer… Die Angst vor Pfützen kommt oft daher, dass der Untergrund nicht sichtbar ist – es könnte ein Loch sein. Geht der Esel nicht gerade vor einer Kutsche, sollte man ihm diese Freiheit lassen. Und wenn er sich entschließt, über einen Bach zu springen, kann man sicher sein, dass er den Sprung auch schafft. Ob er die Durchquerung des Wassers allerdings schaffen würde, ist ungewiss. Man sollte seinem Esel vertrauen. Nichts tut er aus Dummheit oder gar Böswilligkeit.
Woher kommt es dann, dass man über den Esel immer nur spottet?
Der Esel wird traditionell als dumm und störrisch verspottet. Es war der Hochmut der Reichen, der wohlhabenden Bürger, die sich ein Pferd leisten konnten, von dessen Rücken aus man prächtig auf den zu Fuß gehenden Bauern mit seinem beladenen Esel herabschauen und ihn samt Lasttier verspotten konnte. Im Grunde galt die Verachtung dem Bauern, wurde aber auf den Esel projiziert. Mit einem Esel war nicht viel her zu machen; angeben konnte man nicht mit ihm. Und wie die Menschen so sind, wurden und werden auch heute noch die Esel dementsprechend behandelt, nämlich mit einer gewissen Verachtung. Hierzulande mittlerweile eher mit leichtem Spott und hochgezogener Augenbraue, die immer noch eine Rückversicherung ist, sollte der „witzige“ Spruch vielleicht nicht ankommen. Bei Eselleuten kommt er meistens nicht gut an. Aber diejenigen unter ihnen, die schon länger mit Eseln umgehen, haben auch ein wenig von deren Gelassenheit übernommen und „lassen“ die Leute. Die wissen es halt nicht besser.
In armen Ländern hingegen werden Esel teilweise hoch geachtet und man wird ihren Leistungen gerecht. Die Hilfsorganisation Oxfam beispielsweise bietet in ihrem Projekt „Oxfam unverpackt“ als Geschenk für Freunde einen Esel an. Für 85 € bekommt dann vielleicht eine Hebamme in abgelegenen Gegenden von Äthopien oder Erithrea einen Esel, damit sie ihre Utensilien besser transportieren kann und die weiten Wege nicht laufen muss. Oder alleinerziehende Frauen zum Wasserholen und, und, und… eine gute Alternative zu Weihnachtsgeschenken für diejenigen, die sowieso schon alles haben.
In armen Ländern werden die Qualitäten der zuverlässigen und fleißigen Langohren sehr geschätzt. Vorurteile gegenüber dem Esel wie im reichen Europa kann man hier nicht verstehen.
Die frühere wirtschaftliche Bedeutung der Esel
Um etwa 4.000 v. Chr. wurden in Ägypten systematisch nubische Wildesel domestiziert. Von diesen nordafrikanischen Eseln stammt der europäische Hausesel ab; dazu noch einige asiatische Esel, die im Laufe der Jahrtausende über die Seidenstraße kamen. Ohne Esel wäre die Wirtschaft vor und seit der Antike überhaupt nicht in Gang gekommen. Hauptsächlich als Lastentiere wurden und werden sie eingesetzt. Dabei soll ein Esel nicht mehr als 20 % seines eigenen Körpergewichts tragen. Das bedeutet bei einem Esel mit einem Stockmaß von etwa 130 cm und einem Gewicht von 200 kg, dass er nur 40 kg tragen sollte. Leider hielt und hält sich kaum jemand daran, weil „die Esel sich ja nicht beschweren“. Auch heute noch müssen sie in afrikanischen Ländern oft genug die ganze Familie plus Proviant transportieren.
Nicht nur für die regionalen Transporte und Arbeiten in der Landwirtschaft waren die Esel von großer Bedeutung, denn Pferde konnten sich arme Bauern bis fast in die Neuzeit wegen des teuren Futters nicht leisten. Auch auf internationaler Ebene spielten die endlosen Karawanen kleiner Esel eine bedeutende Rolle.
Die sogenannten „Eselsgeschlechter“ beispielsweise, fünf adelige Familien aus dem Rheinland, die seit dem Mittelalter am Drachenfels bei Königswinter Silberminen besaßen, erhielten diesen Namen nicht etwa, weil sie für dumm gehalten wurden, sondern weil sie die wertvolle Silberfracht Jahrhunderte lang über viele tausend Kilometer durch ganz Europa auf den Rücken von Eseln transportierten. Denn das war die sicherste Transportart. Eine Eselkarawane ging nicht durch, eine Eselskarawane kann man auch (fast) nicht stehlen. Und in schwierigen Situationen entschieden die Esel immer das Richtige. Die rheinischen Adeligen wussten schon, warum sie diesem eigentlich verachteten Tier ihren Reichtum anvertrauten.
Doch Esel wurden nicht nur zum Transport eingesetzt, viele tausend Mühlen in Deutschland wurden von Eseln betrieben, und in vielen Kohlenminen schufteten Tausende von Eseln, die nie das Tageslicht sahen. Esel waren über Jahrtausende einfach ein billiges Arbeits- und Transportmittel. Das änderte sich mit dem vermehrten Einsatz kleiner Wirtschaftspferde ab dem Mittelalter und verschwand völlig durch die allgemeine Technisierung.
Die heutige Nutzung des Esels
Esel in Deutschland sind fast immer „Hobbytiere“. Es gibt nur wenige Betriebe, welche die Esel gewerblich nutzen. Die meisten Esel leben in privater Hand und werden hauptsächlich für Spaziergänge, mit Packsattel für teils lange Wanderungen auch über Wochen und/oder „einfach nur so“ gehalten.
Da die Wirbelsäule des Esels entgegen landläufiger Meinung keine gute Tragfähigkeit hat, sind sie als Reittiere wenig geeignet. Ein 200 kg schwerer Esel mit einem Stockmaß von ca. 135 cm darf nur 40 kg tragen – ein Kind oder einen sehr leichten Erwachsenen. Und das aber nur mit einem gut passenden Sattel. Als Fahrtiere sind Esel hingegen hervorragend geeignet – da kommt ihnen ihre Intelligenz und ihre Umsicht auch im Straßenverkehr zugute. So gibt es unter den Eselbesitzern erstaunlich viele Fahrer mit gut ausgebildeten Eseln.
Esel in Not in Deutschland
Im Grunde ist die Eselhaltung einfach, wenn man sich ein wenig informiert und sie nicht der Pferdehaltung gleichsetzt. Dennoch gibt es auch in Deutschland eine Unzahl von vernachlässigten Eseln – halb verhungerte und total verfettete. Esel in engen Verschlägen mit schnabelförmigen Hufen und einsame Esel auf endlosen Weiden. Hier hilft die Noteselhilfe e. V., ein als gemeinnützig anerkannter Verein mit allein 47 fachkundigen Pflegestellen für vernachlässigte Esel. Dort werden die Tiere tierärztlich untersucht, gesund gepflegt und wenn irgend möglich später an zuverlässige und vorher überprüfte Halter vermittelt. Aber auch Eselhalter können sich mit Fragen an die Fachleute bei der Noteselhilfe wenden und werden dort beraten.
Esel als Schutz gegen den Wolf?
Ein trauriges Kapitel ist in diesem Zusammenhang auch die ziemlich schräge Idee, Esel als Wächter bzw. Verteidiger gegen die Wölfe bei Schafen einzusetzen. Wer das Gerücht aufgebracht hat, dass das Sinn macht, ist nicht mehr herauszufinden. Von den immer wieder zitierten „internationalen Studien“ etc. ist keine einzige auf deutsche Verhältnisse übertragbar.
Fest steht, dass mittlerweile etliche Schäfer sich Esel zu ihren Schafen geholt haben, ohne zu wissen, dass allein schon die Nahrungsgrundlage von Esel und Schaf völlig unterschiedlich ist. Ganz abgesehen davon, dass gelangweilte Eselwallache dazu neigen, mit den Lämmern Fußball zu spielen. So landen immer wieder verfettete und vernachlässigte Esel bei der Noteselhilfe. Zwar hat sich die Niedersächsische Tierärztekammer in einem Papier schon explizit gegen den Esel als Herdenschutz ausgesprochen; das hinderte das Niedersächsische Umweltministerium jedoch nicht daran, für eine sogenannte „wissenschaftliche Studie“ zwei Eselwallache ausgerechnet auf den fetten Deichwiesen zu platzieren. Viel Sinn machen sie dort nicht – in der Lammzeit kann man sie nicht einsetzen, und der Schäfer hat schon eingesehen, dass sie auf dem fetten Gras krank werden. Dennoch wird dieses Projekt offiziell durchgezogen – insgesamt auf Kosten vieler Esel, weil die Schäfer sich darauf berufen und den deutlich teureren Herdenschutzhund sparen wollen. (Link zur Noteselhilfe s.u.)
Uta Over; Mai 2018
Weiterführende Informationen
IGEM Interessengemeinschaft für Esel- und Mulifreunde in Deutschland e.V ., Steinweg 12, 65520 Bad Camberg www.esel.org
Noteselhilfe e.V., Riegelstraße 7, 02627, Nechern Tel. 0151 53764605; www.noteselhilfe.org
Der Deutsche Tierschutzbund hat ein Blatt über Eselhaltung herausgebracht, das bei Gerichtsverhandlungen als Sachgutachten dient.
Broschüre Artgerechte_Eselhaltung.pdf
Empfehlenswerte Literatur
Alle Bücher von Anahid Klotz über Esel. Sie hat mehrere Fachbücher zum Wesen, zur Ausbildung und Nutzung des Esels geschrieben; alle mit großer Fachkenntnis.
„Onos lyras – der Esel mit der Leier“ von Prof. Martin Vogel. Eigentlich eine musikwissenschaftliche Geschichte des Esels, aber verblüffend in seiner Reichweite und seinem Kenntnisreichtum von der Urzeit bis heute. Ein ganz besonderes Buch.
31.05.2018