Kräuter, Ärzte, Apotheken

Von der Renaissance bis zur Aufklärung

Bewegte Zeiten

In unserer schnelllebigen Zeit, in der wir in sekundenschnelle große Datenmengen um den Globus schicken, können wir uns kaum vorstellen, dass wissenschaftliche Korrespondenzen und Auseinandersetzungen früher Jahre, oft mehrere Jahrzehnte andauerten. An der Post lag das nicht, die war, den Pferden sei Dank, damals fast so schnell wie heute. Schauen wir uns die Situation vor etwa 500 Jahren an. Drei Ereignisse bewegten die Weltgeschichte:

  • die Entdeckung Amerikas
  • die Erfindung des Buchdrucks
  • die Reformation

Ein Wendepunkt

Gart der Gesundheit von Johann Wonnecke von Kaub, 1491In der Renaissance wurde der Buchdruck erfunden, ein Ereignis von ähnlich großer Bedeutung wie die Erfindung des Internets. Ein fleißiger Schreiber brauchte zu der Zeit ungefähr ein Jahr für eine komplette Bibelkopie. Gutenbergs Erfindung, der Buchdruck mit beweglichen Lettern, ermöglichte die Vervielfältigung in guter Qualität und mit absolut identischem Inhalt. Beim Abschreiben passierten Fehler, manches wurde hinzugefügt, Missliebiges auch mal weggelassen. Die Schreiber in den Skriptorien der Klöster waren ja keine stumpfsinnigen Automaten, sondern gehörten zur gebildeten Elite.

Mit dem Buchdruck konnten Texte, auch mit Pflanzenabbildungen, fast beliebig oft und absolut identisch gedruckt werden. Die Gelehrten konnten nun nahezu zeitgleich die Bücher lesen und sich darüber austauschen. Viele der damals gedruckten Pflanzenbücher wurden auch noch 200 Jahre später unverändert aufgelegt.

Babylonische Sprachverwirrung

In den Heilpflanzenbüchern und botanischen Werken um 1500 finden wir die Pflanzennamen in lateinischer, deutscher, französischer, niederländischer, englischer, böhmischer, griechischer und arabischer Sprache.
Warum in so vielen? Die Sprache der Wissenschaft war doch Latein und die Kommunikation funktionierte doch gut in dieser Sprache?

Bei den Pflanzennamen gab es viele regionale Namen, so dass ein einzelner Name keine eindeutige Identifikation ermöglichte. Verschiedene Übersetzungen von Namen aus antiken Werken von Dioskurides bis Avicenna schufen weitere Verwirrung. Man behalf sich, indem man beschreibende Namen wählte, die dadurch lang und immer länger wurden. Es gab Pflanzen, deren Name aus zehn, ja zwanzig Wörtern bestand. So hieß z. B. die ‚Echte Katzenminze‘ damals Nepata floribus interrupte spicatus pedunculatis (Nepeta mit gestielten Blüten in unterbrochener Ähre) – Linné nannte sie Nepeta cataria (auf Katzen wirkend). So heißt sie auch heute noch.

Gab es um 1500 etwa 3000 Pflanzen, die benannt und deren Wirkung bekannt waren, so kamen aus den Kolonien und dem Fernhandel aus Asien, Afrika und Amerika große Mengen an Gewürzen, Heil-, Nutz- und Zierpflanzen, so dass sich die bekannten Arten innerhalb kurzer Zeit vervielfachten, denn von jeder Expedition brachten Handelsschiffe neue mit.

Wer räumt hier auf?

Schon immer gab es Bemühungen, die Pflanzen sinnvoll zusammenzustellen und zu ordnen. Es fehlte ein schlüssiges und nachvollziehbares System. An diesem Thema arbeiteten viele Forscher. Linné wagte mutig einen Schnitt: Er verstand den Namen einer Art als individuelle Bezeichnung und nicht mehr als Beschreibung. Die Pflanzen wurden jetzt konsequent mit zwei Namen versehen: dem Gattungsnamen, quasi dem Nachnamen, er steht zuerst und wird groß geschrieben, und dem daraus folgenden, klein geschriebenen Artbeinamen.

Linnés Leistung ist nicht allein die Vergabe von Namen; er hat gleichzeitig ein System erschaffen, eine Systematik, mit der eine genaue Einordnung der Pflanzen und ihre Zusammenfassung in Gattungen und Pflanzenfamilien erst möglich wurde. Er ordnete die Pflanzenfamilien nach Anzahl und Lage von Staubbeuteln, Fruchtknoten und Stempel, also den männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen der Pflanzen und zur weiteren Klassifizierung nutzte er die Anzahl der Blütenblätter, die Form der Laubblätter und Wurzeln.

Mit dieser Systematik im Gepäck waren die Forscher und Entdecker in der ganzen Welt unterwegs, zeichneten und herbarisierten neu entdeckte Pflanzen und gaben ihnen Namen. Bei den Klerikern und der Obrigkeit traf Linné auf heftigen Widerstand. Dass er den unschuldigen Pflanzen Sexualität unterstellte, fanden sie unerhört, es war in ihren Augen ein Sakrileg. Aber Linné kam zur rechten Zeit.

Die Aufklärung

Im Zeitalter der Aufklärung wurde das Obrigkeitsdenken zurückgedrängt, Naturbeobachtung und logisches Denken sollten Unwissenheit und Aberglauben bekämpfen. Die Aufklärer, unter ihnen Voltaire und Kant, forderten die Befreiung des Menschen aus seiner Unmündigkeit. Umfangreiche und für alle zugängliche Informationen wurden wichtig. Deshalb begannen französische Enzyklopädisten das gesamte Wissen der Zeit zu sammeln und in geordneten Nachschlagewerken bereitzustellen. Die erste Enzyklopädie hatte einen Umfang von 35 Bänden, der erste erschien 1751, der Abschlussband 1780.

Wissen und Wissenschaft wurden immer komplexer. Die Wissenschaft, die nun nicht mehr nur beobachtend festhielt, sondern auch experimentierte, brauchte Spezialisten. Noch gab es Universalgelehrte, aber die Spezialisierung schritt rasch fort. Waren Botanik und Pharmazie ursprünglich Wissenschaftszweige der medizinischen Fakultät, so wurden die Naturwissenschaften nun neu gruppiert. Es etablierten sich eigenständige Fachbereiche: die Biologie mit den Zweigen Zoologie und Botanik und die Pharmazie als Zweig der Chemie.

Klostermedizin

Pflanzenkenntnisse und Heilmittelzubereitungen waren früher selbstverständlicher Teil der Klostermedizin.

Klostergarten Kloster MaulbronnDie Klöster sicherten die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung. Durch die Reformation wurden viele Klöster aufgelöst und säkularisiert. Weil die alten Traditionen und die Wissensvermittlung unterbrochen wurden, ging damals sehr viel Wissen verloren.

In ärmeren Regionen wurden immer schon Heilpflanzen gesammelt und verkauft. Bis heute sind diese Kräuterzentren Deutschlands in Thüringen, in Franken und im Harz wichtige Drehscheiben des Kräuterhandels, der Kräutererforschung und der phytotherapeutischen Ausbildung. Buckelapotheker aus dem Harz und dem Thüringer Wald hausierten mit Salben, Ölen, Tinkturen und Kräutermischungen und trugen ihre schweren Kiepen weit ins Land hinein.

Subventionen im Gesundheitswesen

Da die Wirtschaftlichkeit von Apotheken stark von Seuchen oder Epidemien abhängig war (!), gab es, wenn längere Zeit keine auftraten, mancherorts Versorgungsprobleme, weil die Apotheken ihre Betreiber nicht ernähren konnten und schließen mussten. Apotheker handelten daher damals schon mit Schönheitsmitteln, Medizinalweinen und Likören oder betrieben sogar einen Ausschank und konkurrierten mit den Wirten. In Österreich wurden Landschaftsapotheken seit dem 15. Jahrhundert subventioniert, um die sanitäre Versorgung auf dem Land in den gesunden Zeiten zu sichern. Diese Landschaftsapotheken wurden immer mehr, obwohl man zur Kostendämpfung immer wieder vergeblich versuchte, ihre Zahl zu reduzieren. Ihre Zahl stieg mit der Anzahl der Ärzte immer weiter.

Der Apothekerstand

In den aufstrebenden Städten war nun das Handwerk des Apothekers gefragt. Die waren auf gute Pflanzenkenntnisse angewiesen, denn sie mussten die frischen wie die getrockneten Pflanzen erkennen und unterscheiden können. Fremde Gewürze und Drogen erhielt der Apotheker von Drogisten, die nur mit den Rohstoffen handeln durften. Heimische Pflanzen wurden angepflanzt oder von Kräuterfrauen gesammelt.

Historische Apotheke im Freilichtmuseum MolfseeApotheker waren nicht mehr die Krämer und Hausierer; sie etablierten sich als selbstbewusste und bald sehr vermögende Handwerker mit repräsentativen Geschäftshäusern an den Märkten und aufwändig eingerichteten Läden.

Um das kostbare Ambiente dieser Offizinen, wie die Arbeitsräume der Apotheker bis heute bezeichnet werden, noch zu unterstreichen, präsentierten die Apotheker gerne Kuriositäten wie ausgestopfte Tiere, kostbare Gefäße und Apparaturen. Im Labor wurde destilliert, Tinkturen, aber auch Weine oder Liköre zubereitet, die oft auch in den Apotheken ausgeschenkt wurden. Die Apotheker absolvierten eine Lehre; erst 1825 wurde in Preußen ein zweisemestriges Studium für Apotheker Pflicht.

Die Apothekengesetzgebung

Schon der Hohenstaufenkaiser Friedrich II. hatte 1241 in einem Edikt, das man später als Edikt von Melfi bzw. Sarlerno bezeichnete, das Medizinalwesen geregelt: Jede Apotheke musste vom Landesherrn genehmigt werden, Ärzte und Apotheker durften nicht zusammenarbeiten, sondern die Ärzte sollten vielmehr die Apotheken kontrollieren, um Betrügereien und den Verkauf minderwertiger Arzneien zu unterbinden. Ärzte durften keine Apotheke besitzen oder daran beteiligt sein. Arzneimittelpreise wurden gesetzlich festgeschrieben, um Preistreiberei zu verhindern. Dieses Edikt wurde Vorbild der Apothekengesetzgebung in ganz Europa (im Humanbereich!).

Aufbruch

Das Pflanzenwissen der Mönche ging nicht völlig verloren. In vielen Bibliotheken werden Schätze gehütet bis in die Gegenwart, und längst sind nicht alle gehoben. Die Kräuterbücher, die anfangs nur in lateinischer Sprache gedruckt wurden, erschienen bald in deutscher Sprache und fanden weite Verbreitung.

Die Menschen begannen sich wieder dafür zu interessieren, welche Pflanzen in ihrer Region wuchsen. Naturexkursionen in der näheren und weiteren Umgebung waren sehr beliebt. Im 18. Jahrhundert wurden viele botanische Gärten gegründet, auch von Bürgern, unabhängig von den Universitäten. Aus Protokollen einiger Exkursionen wissen wir beispielsweise heute noch, welche Pflanzen und Vögel im Stadtgraben vor Basel vorkamen.

Umbruch

Mit zunehmendem Wissen in Chemie und Pharmazie schwand das Vertrauen in die Heilpflanzen. Pflanzen wurden zu Rohstofflieferanten. In den Universitätsstädten etablierte sich die pharmazeutisch-chemische Lehre. An die Stelle von Naturstoffen aus Pflanzen traten chemische Stoffe oder Stoffe, die den natürlichen Stoffen nachgebaut wurden, aber mit ihnen nicht mehr identisch sind.

Das alte Wissen über die Heilkraft der Pflanzen ging nicht verloren; es wurde von der Landbevölkerung weiter bewahrt und angewendet. Es überlebte bis in die Neuzeit als Volksheilkunde.

Manfred Heßel, Dipl. Ökologe, Waltrop

05.09.2017

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