Kalorienberechnungen
Angemessene Fleisch- und Kohlenhydratmengen
Die wenigsten Hunde- und Katzenhalter interessieren sich vermutlich für den täglichen Kalorienbedarf ihrer Tiere – und Pferdebesitzer wohl erst recht nicht.
Viel wichtiger z. B. bei der Rohfütterung von Hunden und Katzen ist die richtige Einschätzung einer angemessenen Fleisch- und Kohlenhydratmenge bzw. bei Pferden einer wohldosierten Raufutter- und Getreideration. Beim Verfüttern kommerzieller Tierfutter genügt dem Tierhalter meist ein Blick auf die Fütterungsempfehlungen der Dosen, Tüten oder Säcke.
In der menschlichen Ernährung hat die Kalorienberechnung bekanntlich einen gänzlich anderen Stellenwert: Man denke an die Vielzahl Gewicht reduzierender Diäten und die Einteilung der Lebensmittel in „gute“ (kalorienarme) und „schlechte“ (kalorienreiche). Sich beispielsweise zum Zwecke einer Gewichtsreduktion auf Kalorientabellen zu stützen, ist nur sinnvoll, wenn diese Angaben tatsächlich auch stimmen. Endlose Kalorientabellen scheinen hier Sicherheit zu geben und vermitteln dem Verbraucher die Vermessung der Ernährung als exakte Wissenschaft.
Wie werden Kalorien-Werte eigentlich bestimmt?
Die Grundlage der Brennwertmessung schuf der amerikanische Forscher W.O. Atwater Ende des 19. Jahrhunderts, indem er in Laborversuchen den Energiegehalt von Lebensmitteln festlegte. Diese Berechnungen haben auch heute noch Allgemeingültigkeit!
Ein Artikel im Spektrum der Wissenschaft, November 2013, stellt nun die Relevanz bisheriger Kalorienberechnungen von Lebensmitteln auf den Kopf.
Kritisiert wird das Atwater-System, weil es von Kalorien-Durchschnittswerten in Lebensmitteln ausgeht. Die einzelnen Nahrungsmittel werden jedoch sehr unterschiedlich vom Körper verdaut und verwertet. Hier sind die vielen Gemüsesorten mit ihren Knollen, Wurzeln, Blättern und Stängeln zu nennen. Ihre Zellwände sind unterschiedlich hart und verschieden dick (oft sogar innerhalb ein und derselben Pflanze). Je weicher die Zellwände sind, desto größer ist der Energiegewinn für den Pflanzenkonsumenten. Zuckrige, weiche Früchte lassen sich leicht verdauen, Nüsse sind hingegen sehr viel energieaufwendiger aufzuschließen. Maiskörner mit sehr harter und fester Zellwand werden mehr oder weniger unverdaut vom Köper wieder ausgeschieden.
Die individuelle Struktur einer als Nahrung dienende Pflanze ist demnach maßgebend für die Energieausbeute.
Außerdem verdaut jedes Lebewesen sehr individuell – kein Mensch ist genau wie ein anderer, und auch Katzen, Hunde und Pferde haben nie absolut identische Enzymmuster oder Darmlängen. Letztere sind u. a. verantwortlich für die bakterielle Fettsäureverwertung – beim Pferd ein sehr entscheidender Prozess für die Energiegewinnung.
Die Enzymausstattung jedes einzelnen Organismus ist ebenfalls sehr unterschiedlich: Nicht alle Menschen und auch nicht alle Katzen oder Hunde sind einheitlich von Laktoseintoleranz betroffen. Manche Katzen bekommen nach einem Milch-Wasser-Gemisch Durchfall, andere vertragen es sehr gut. Bei einer Laktoseintoleranz lässt die Aktivität des Milchzucker spaltenden Enzyms Laktase nach dem Säuglings- bzw. Welpenstadium im Laufe des Lebens nach oder es wird überhaupt nicht mehr synthetisiert. Unverträglichkeit von Milch oder Milchprodukten ist die Folge, und der Energiegewinn aus solchen Nahrungsmitteln dementsprechend zu vernachlässigen.
Auch unabhängig von der Zellwandstruktur ist die Verdaulichkeit von Lebensmitteln grundsätzlich sehr verschieden: Honig – ein Einfachzucker – wird sofort zerlegt und gelangt schnell ins Blut, erfordert also kaum Verdauungsleistung und Energieverbrauch. Eiweiße hingegen müssen erst mühsam, d. h. unter Energieaufwand, in Aminosäuren gespalten werden. Ihre Verdauung benötigt etwa im Vergleich zur Verdauung von Fetten bis zu fünf Mal so viel Energie! Auch der Abbau von Ballaststoffen verbraucht viel Energie. All dies wird bei Kalorienangaben auf Lebensmitteln nicht berücksichtigt.
Ein Lebewesen "funktioniert" nicht wie ein Brennofen!
Ebenso wenig findet die Art der Nahrungszubereitung bei der Kalorienberechnung Beachtung: Zerkleinern, Zerreiben, Mahlen, Kochen, Garen und Backen steigert den Energiegewinn der Nahrung beträchtlich. Eiweiße werden durch Hitzeeinwirkung denaturiert und dadurch vom Organismus besser verdaut (insbesondere Fleisch). Das Garen der Speisen im Feuer (vor ca. 800 000 Jahren vom Menschen erfunden) und das Zerstoßen der Nahrung mit Steinen hat der menschlichen Evolution vermutlich gehörig auf die Sprünge geholfen, so der britische Primatologe und Schimpansen-Freilandforscher Richard Wrangham: Die beträchtliche Steigerung des Energiegewinns pro Mahlzeit hat vermutlich die menschliche Hirnentwicklung eklatant beschleunigt.
Auch die Zubereitung des Futters für Pferde, Hunde oder Katzen ist von wesentlicher Bedeutung: Pflanzensamen (Hanfsamen, Leinsaat, Chiasamen usw.), die insbesondere dem Pferd als hervorragendes natürliches Nahrungsfett dienen und die oftmals viel zu üppige Ölzufütterung überflüssig machen können, sollten vor der Gabe ausgemahlen werden. Andernfalls wird ein überwiegender Teil der Samen unverdaut wieder ausgeschieden, was ja evolutionsbiologisch durchaus sinnvoll ist: Die Pflanzen „wollen“ im Rahmen der Koexistenz mit anderen Lebewesen Verbreitung finden. Man denke an die unverdauten, noch keimfähigen Haferkörner in Pferdeäpfeln, die wiederum mit Begeisterung von Vögeln gefressen werden.
Ein weiterer Aspekt, der bei der Kalorienberechnung einzubeziehen wäre: Der Darm in seiner Funktion als Immunsystem. Jeder keimbelastete Nahrungsbestandteil, der in Magen und Darm gelangt, muss unter Energieaufwand auf mögliche toxische Belastung abgecheckt und gegebenenfalls eliminiert werden. Die immense Bedeutung der Darmflora bei Mensch und Tier wurde lange unterschätzt. Inzwischen geht man u. a. davon aus, dass einer der großen Bakterienstämme im menschlichen Darm mitverantwortlich für Fettleibigkeit und Übergewicht ist. Diese Bakterien schließen die Nahrung, vor allem komplexe Kohlenhydrate, besonders effizient auf. Diese Vermutung sollte allerdings kein Freifahrtsschein für Bewegungsmangel und unausgewogene Ernährung sein – weder bei Menschen noch bei Hunden, Katzen und Pferden.
Das seit nunmehr 100 Jahren gültige System der Kalorienberechnung für Lebensmittel hat folglich einen entscheidenden Mangel: Es bestimmt den Energiegehalt eines Lebensmittels ausschließlich vor seinem Verzehr! Alle weiteren Verdauungs- und Umwandlungsprozesse im Körper werden ignoriert.
Nun müsste ein Modell zur Brennwertmessung geschaffen werden, das den Zusammenhang zwischen Energiegehalt der Nahrung und den Verarbeitungsprozessen im Organismus in den Vordergrund stellt.
Nichtsdestotrotz werden Tierhalter ihre Hunde, Pferde oder Katzen wohl sinnvollerweise weiter nach der alten Bauernweisheit ernähren: „Das Auge des Herrn füttert sein Vieh“ …
Dr. Frauke Garbers, Biologin
Quelle
Spektrum der Wissenschaft, November 2013
06.08.2017