Wildvögel ganzjährig füttern

- Pro und Contra -

Spätestens mit dem ersten Schnee erwacht bei vielen Menschen der Wunsch, Wildvögel im Garten oder auf dem Balkon zu füttern. Bei eisigen Temperaturen und dichten Schneedecken ist die Nahrungsnot für viele Vögel ersichtlich und fordert zum Handeln auf. 15 bis 20 Millionen € geben Vogelliebhaber jährlich in Deutschland für Winterfütterung aus.

Genauso aber ist nach Meinung etlicher Menschen das Zufüttern im Frühjahr und Sommer blanker Unsinn.

Denn zumindest in ländlichen Bereichen mit ‚intakter‘ Natur scheint der Tisch für die Vögel doch reichlich gedeckt. Gegner einer Ganzjahresfütterung plädieren u.a. dafür, Gelder eher in Schutzprojekte für die Vögel zu investieren, anstatt sie ganzjährig zu füttern. In Städten und Dörfern würden mit dieser Maßnahme sowieso nur 10 bis 15 Vogelarten erreicht, z.B. Meisen, Amseln, Finken, Rotkehlchen. Aber keine dieser Arten sei in ihrem Bestand gefährdet. Stattdessen würden unter Umständen die selteneren Arten verdrängt.

Die Diskussionen um Ganzjahresfütterung nehmen zunehmend Raum ein – auch unter Natur- und Ornithologieexperten. Denn mit der ‚intakten‘ Natur ist es bekanntlich flächendeckend vorbei. Um heimische Vogelarten zu Gesicht zu bekommen, muss man mancherorts Naturschutzgebiete aufsuchen.

Laut prof. Peter Berthold (ehemaliger Leiter der Vogelwarte Radolfzell/ Bodensee) ist das Vogelfüttern im Sommer mittlerweile sogar wichtiger als im Winter.

Amseln, Spatzen, Meisen usw. brauchen nämlich insbesondere im Frühjahr und Sommer viel Eiweiß und Energie: Brutzeit und Aufzucht des Nachwuchses sind Kräfte- und Energie zehrend. Die Vögel müssen viel mehr fliegen – hunderte Male in der Stunde, um ihre Jungen zu füttern!

Aufgrund des fortschreitenden Insektensterbens finden sie häufig keine Nahrung mehr.

Durch intensivierte Landwirtschaft mit ‚ausgeräumten‘, aber ‚sauberen‘ Landschaften, abgeholzten Hecken, Knicks, Sträuchern haben viele Vögel ihren Lebensraum verloren.

Wildkräuter auf Äckern werden mit Herbiziden totgespritzt. Wiesenpflanzen bilden nur noch selten Samen aus, weil die Wiesen früh und häufig gemäht werden. Die Ackerstreifen mit Wildkräutern werden immer schmaler bzw. schwinden ganz – bis auf den letzten m2 werden die Ackerflächen ausgenutzt…

Ständiger (hoher) Pestizideinsatz, und das nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in der Kleingärtnerei und in den Privatgärten, verursachte und verursacht immer noch das dramatische Insektensterben – und damit den Nahrungsverlust der Wildvögel.

Nach Prof. Berthold ist dies das eigentliche Problem für den Rückgang vieler Vogelarten.

Auch auf vielen Friedhöfen, in öffentlichen Parkanlagen und in heimischen Gärten werden Brutplätze und Versteckmöglichkeiten der Vögel zerstört. ‚Perfekter Einheitsrasen‘, wie ein Wohnzimmerteppich, lässt keinem Gänseblümchen und anderen Wildkräutern, die Insekten anziehen, eine Chance – auch nicht am Rasensaum. Es soll ja schließlich ‚ordentlich‘ aussehen. Einheimische Gehölze mit vielen Beeren im Herbst sieht man immer seltener in den Gärten.

Untersuchungen in England und Deutschland haben ergeben, dass die Ganzjahresfütterung vielen Vogelarten geholfen hat. Ihre Brutdichte hat zugenommen, da sie früher brüten können und mehr hochwertige Eier legen.

Die ganzjährige Fütterung ist als Parallelmaßnahme zum Vogelschutz zu sehen: Die Ursachenbekämpfung des Artenrückgangs bei Vögeln liegt im Erhalt bzw. Neuschaffen naturnaher Biotope. Angesichts der Macht und der Interessen der Agrarlobby ein hochgestecktes Ziel…

Ganzjahresfütterung mit energiereichem Zusatzfutter bietet vielen Vögeln ganz offensichtlich eine Chance, überhaupt zu überleben.

Dr. Frauke Garbers

13.11.2018

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