PSSM (Polysaccharid-Speicher-Myopathie)
Wenn die Muskeln streiken ...
Polysaccharid-Speicher-Myopathie (PSSM) ist eine degenerative Muskelkrankheit, die erst in den letzten Jahren auf sich aufmerksam macht. In der älteren tiermedizinischen Literatur wird diese Krankheit noch gar nicht erwähnt. Anfangs dachte man, es sei ähnlich wie HYPP (Hyperkalemic Periodic Paralysis) eine Krankheit der Quarter Horses, weil sie bei diesen Pferden zuerst auftrat. Dann folgten dokumentierte Fälle von Appaloosas, Kaltblütern, Haflingern und ähnlich stark bemuskelten Rassen, aber mittlerweile weiß man, dass PSSM jedes Pferd treffen kann: vom schmalen Araber über das Warmblut bis zum breiten Kaltblut.
Mittlerweile hat man zwei verschiedene Typen von PSSM (manchmal auch EPSM genannt) gefunden. Typ 1 macht etwa 90 % aller PSSM Erkrankungen aus und tritt vor allem auf bei stark bemuskelten Pferden auf wie Quarter Horses im Halter-Typ, Paints, Morgan Horses und einigen Kalt- und Warmblütern. Bei den betroffenen Kaltblutrassen zeigen bis zu 62 % der Pferde die PSSM Genmutation, das sind vor allem Belgische Kaltblüter, Percherons und noch einige andere europäische Rassen, während die britischen Shires und Clydesdales nur sehr selten betroffen sind. Typ 2 findet man bei den eher leicht bemuskelten Rassen wie Quarter Horses im Vollbluttyp, Arabern, Vollblütern und leichten Warmblütern.
Aber was steckt dahinter?
Die Pferde werden oft dadurch auffällig, dass sie leistungsschwach sind und immer langsamer und lethargischer werden, je länger sie arbeiten müssen. Häufig reagieren sie auch nach Anstrengung mit Kolik oder Kreuzverschlag. Eine Erhöhung der Kraftfutterration verstärkt die Symptome noch. Schließlich magern die Pferde ab trotz reichlicher Fütterung und vor allem die Rücken- und Kruppenmuskulatur atrophiert. Schaut man sich die betroffene Muskulatur unter dem Mikroskop an, vor allem die tiefe Kruppen- und Hinterhandmuskulatur, so kann man Stärke-Einschlüsse in den Muskeln erkennen, die dort bei gesundem Gewebe nicht vorliegen. Diese Stärke ist nicht durch Amylase auflösbar, stellt also in doppelter Hinsicht eine Besonderheit dar: Normalerweise lagern Muskelzellen Zucker in Form von Glykogen ein, nicht in Form von Stärke. Und üblicherweise ist Stärke durch das körpereigene Enzym Amylase verdaulich. Nicht aber bei PSSM.
Mittlerweile gibt es viel Forschungsarbeit zu diesem Thema und einige interessante Aspekte sind dabei zum Vorschein gekommen:
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PSSM hat eine genetische Ursache
Es gibt eine genetische Variante, die vererbt wird, welche bestimmt, ob ein Pferd eine Prädisposition, also eine Veranlagung dazu hat, an PSSM zu erkranken oder nicht. Eine Mutation im Gen GYS1 ist vorhanden bei Pferden mit PSSM vom Typ 1. Das GYS1 Gen codiert das Enzym Glykogen Synthase, das im Muskel Zucker zu seiner Speicherform Glykogen umwandelt. Die dominant vererbte Mutation sorgt dafür, dass vermehrt Glykogen aus Zucker aufgebaut wird. Die Mutation für Typ 2 PSSM hat man bisher noch nicht gefunden, bei diesen Pferden ist das GYS1 Gen normal. Diese Pferde können daher bisher auch nicht über den Gentest erfasst werden. -
PSSM wird durch Zucker in der Fütterung ausgelöst
Pferde mit PSSM Genmutation sind gesund, solange auf leicht verfügbare Zucker in der Fütterung verzichtet wird und die Pferde entsprechend ihrer Energieaufnahme Arbeit leisten. Wird also ein Pferd ausschließlich mit Heu und Weidegras gefüttert und regelmäßig geritten, tauchen keine Krankheitssymptome auf. Erst wenn dieses Gleichgewicht aus der Balance kommt – die Pferde also große Mengen Kraftfutter mit leicht verdaulichen Kohlenhydraten wie Melasse, Maisflocken oder anderen thermisch behandelten Getreiden bekommen und gleichzeitig nicht ausreichend arbeiten –, kommt es zum Ausbruch von PSSM.
In Untersuchungen an klinisch gesunden Pferden konnte gezeigt werden, dass jedes zweite Pferd die Genmutation für PSSM aufweist. Diese Pferde erkrankten jedoch nicht, solange sie artgerecht gefüttert wurden. Erst durch die Zufütterung von Kraftfutter bei nur mäßiger Arbeit konnte PSSM ausgelöst werden. Da Kreuzverschlag zu den auftretenden Symptomen gehört, wird mittlerweile auch die früher berüchtigte „Feiertagskrankheit“ der Kaltblüter auf PSSM zurückgeführt. Kaltblüter, die täglich viele Stunden im schweren Zug gingen, erkrankten oft an den Ruhetagen an Kreuzverschlag, wenn das Futter nicht rechtzeitig einen Tag vorher schon reduziert wurde. Diese Pferde wurden immer mit stark zuckerhaltigen Futtermitteln wie Rübenschnitzeln gefüttert, da sie diese Energie für den Arbeitseinsatz brauchten – nicht jedoch an Stehtagen.
PSSM ist also vermutlich eine schon sehr alte Erkrankung, die früher aber selten auftrat, weil im Vergleich zur Arbeitsleistung viel weniger gefüttert wurde als heute.
Was passiert im Muskel eines PSSM Pferdes?
Muskelzellen haben an ihrer Oberfläche Rezeptoren für Insulin. Steigt der Blutzuckerspiegel an, schüttet die Bauchspeicheldrüse Insulin aus. Dieses bindet an die Rezeptoren und sorgt dafür, dass die Muskelzelle jetzt Zucker aus dem Blut aufnimmt. Dadurch sinkt der Blutzuckerspiegel. In der Muskelzelle wird der aufgenommene Zucker zu einer Speicherform, dem Glykogen umgebaut. Leistet der Muskel Arbeit, wird Glykogen wieder in Zucker zerlegt und der Zucker unter Verbrauch von Sauerstoff zu CO2 und Wasser abgebaut, wobei Energie frei wird. Diese Energie nutzt der Muskel für die Arbeitsleistung. Hat das Pferd die Genvariante für PSSM, sind seine Muskelzellen deutlich sensibler für Insulin. Schon geringe Mengen Insulin führen also dazu, dass vermehrt Zucker aus dem Blut aufgenommen wird. Irgendwann sind aber die Glykogenspeicher des Muskels voll. Bei PSSM Pferden findet man die 1,5- bis 4-fache Menge an Glykogen im Muskel im Vergleich zum Normalwert. Wird das Glykogen dann nicht durch Arbeit verbraucht und stattdessen ständig neuer Zucker nachgeliefert, so kettet der Muskel die Zuckermoleküle aneinander, so dass Stärke entsteht. Diese wird eingelagert und ist damit erstmal „unschädlich“ für die Muskelzelle. Die Stärke kann jedoch nicht mehr zur Energiegewinnung genutzt werden. Der Muskel fällt also in Energiemangel, trotz oder gerade wegen der Überversorgung mit Energie. Krankheitssymptome sind die Folge.
Die Muskelprobleme bei PSSM sind also keine Folge einer mangelhaften Glykogenverwertung oder eines anaeroben Muskelstoffwechsels, wie sie manchmal im Zusammenhang mit Kreuzverschlag beschrieben werden. Im Gegensatz zu einigen Muskelkrankheiten bei anderen Tierarten sind auch PSSM Pferde in der Lage, Glykogen ganz normal unter Sauerstoffverbrauch in Energie umzuwandeln. Daher führt gesteigertes Training auch bei Pferden mit PSSM Genmutation zu einer Abnahme des Muskelglykogens bis zu einem normalen Niveau. Die richtige Fütterung in Kombination mit entsprechendem Training ist also ein wichtiger Faktor beim Management von potentiellen PSSM Pferden.
PSSM Typ 1 wird nach Untersuchungen dominant vererbt; wenn also ein Elternteil diese genetische Variante aufweist, besteht eine sehr große Wahrscheinlichkeit, dass das Fohlen sie ebenfalls hat. Würde diese Mutation bei Wildpferden immer zum Ausbruch der Krankheit führen, wären Pferde vermutlich schon längst ausgestorben. Da ein Wildpferd aber viel Bewegung und sehr zuckerarmes Futter hat, kann diese Mutation durchaus von Vorteil gewesen sein bei der natürlichen Selektion. Die starke Verbreitung der genetischen PSSM Genvariante bei Pferden und das Ausbleiben von Krankheitssymptomen bei artgerechter Ernährung hat zu der Theorie geführt, dass es sich um eine evolutive Anpassung von Pferden an besonders energiearmes Futter handelt. Denn PSSM Pferde sind wesentlich effektiver in der Ausnutzung auch kleinster Blutzuckererhöhungen für Muskelarbeit und haben damit einen evolutiven Vorteil in Gegenden, wo das Grundfutter besonders energiearm ist.
Aus diesem Grund wird diskutiert, ob PSSM die „Krankheit“ ist oder eigentlich der Normalfall. Und ob nicht der Mensch diese genetische Variante bei einigen Rassen gezielt weggezüchtet hat, nämlich gerade bei den Rassen, die traditionell viel Kraftfutter bei wenig Arbeit bekommen. Während bei Pferderassen, die schon immer viel arbeiten mussten bei möglichst sparsamer Fütterung, wie Quarter Horses, Kaltblüter, Ponys etc., die PSSM Variante erhalten blieb. Für diese Pferde wird nun eine Überversorgung mit energiereichem Futter zum Problem.
Was aber tun, wenn das Pferd PSSM hat? Zunächst muss man unterscheiden, ob das Pferd nur genetisch die Veranlagung zu PSSM hat, oder ob die Krankheit bereits ausgebrochen ist.
Behandlung
Pferde mit PSSM – ob schon ausgebrochen und nur mit der genetischen Veranlagung dazu – haben insbesondere Probleme mit leicht verfügbaren Zuckern, wie sie aus Melasse, Karotten, Apfeltrester, Rübenschnitzeln und thermisch behandelten (geflockten oder extrudierten) Getreiden stammen. Auch in der Menge muss bei diesen Pferden Kraftfutter immer nur sehr sparsam dosiert und der tatsächlichen Arbeitsleistung angepasst werden. Ein Trainingstagebuch, über mehrere Wochen geführt, gibt einen guten Anhaltspunkt über den tatsächlichen Energiebedarf. Regelmäßiges und ausreichendes Training bei geringer Kraftfutterzufuhr ist ein Muss für PSSM Pferde. Einen Anhaltspunkt über die tatsächlich benötigte Energie gibt die Tabelle. Der Grundbedarf eines Pferdes kann normalerweise über eine ausreichende Portion mit ordentlicher Heuqualität gedeckt werden, das etwa 8 MJ pro kg verdauliche Energie liefert.
In Untersuchungen an erkrankten PSSM Pferden wurde gezeigt, dass allein die Futterumstellung – weg von leicht verfügbaren Kohlenhydraten, hin zu reichlich zuckerarmem Raufutter – bei der Hälfte aller Pferde zu einer deutlichen Verbesserung der Symptome führte. Wurde die Futterumstellung kombiniert mit vermehrter Bewegung, verbesserte sich der Zustand von 90 % aller untersuchten Pferde. Bei konsequent artgerechter Fütterung und regelmäßiger Bewegung können über 75 % der an PSSM erkrankten Pferde komplett ausheilen.
Was aber heißt „artgerechte Fütterung“?
Das Pferd ist ein Steppen- und Tundrentier und daher über Millionen Jahre Evolution auf die Verwertung langsam verdaulicher Kohlenhydrate optimiert worden. Leicht verdauliches Futter ebenso wie große Mengen Zucker, Stärke, Eiweiß oder Fett sind schädlich für den Pferdestoffwechsel. Das Wichtigste ist daher eine ausreichende Heufütterung mit etwa 2 kg pro 100 kg Körpergewicht. Leerzeiten > 4 Stunden sollten unbedingt vermieden werden. Dazu sollten Stroh oder Äste zum Knabbern und als „Ballaststoffversorgung“ zur Verfügung stehen. Kraftfutter muss grundsätzlich sparsam gefüttert werden.
Bei vermehrt geforderter Arbeitsleistung kann als vergleichsweise langsame Energiequelle gequetschte Gerste gefüttert werden. Sie wird von fast allen Pferden sehr gut vertragen. Sportpferde aus Warm- oder Vollblutlinien können zur Deckung ihres erhöhten Energiebedarfs auch Hafer bekommen. Viele kleine Kraftfuttermahlzeiten sind dabei wesentlich gesünder als wenige große. Auch sollte immer mindestens 30 Minuten vor dem Kraftfutter eine Rau futtermahlzeit gegeben werden. Dadurch steigt der Blutzuckerspiegel weniger an und kann leichter wieder reguliert werden. Außerdem steigt dadurch die Nährstoffausbeute aus dem
Kraftfutter, was die Gesamtmenge, die gegeben werden muss, weiter reduziert.
Auch beim Mineralfutter sollte auf die Zusammensetzung geachtet werden und darauf, dass möglichst kein Zucker zugesetzt ist. Zum Fellwechsel oder in Zeiten erhöhter Beanspruchung kann man auch mal eine Handvoll Sonnenblumenkerne in der Schale oder einen Esslöffel Leinsamen oder Wildsamenmischung, einige Hagebutten oder ein bis zwei Walnüsse geben. Sie alle liefern hochwertige Ölsäuren in verdaulicher Form. Mit dieser Fütterung erreicht man eine ausreichende Versorgung mit Energie und allen notwendigen Nährstoffen, die das Pferd braucht.
Dr. Christina Fritz, Biologin, Therapeutin und Fachbuchautorin, Berlin
05.09.2017