Oxidativer Stress
- der heimliche Killer
Bis noch vor etwas zwei Jahrzehnten wussten man mit dem Begriff "Oxidativer Stress" nichts anzufangen. Man hatte allerdings immer wieder beobachtet, dass in Sekundenschnelle, vor allem während und nach Operationen, ganze Gewebepartien abstarben, also nekrotisierten, und konnte sich das nicht erklären. Inzwischen kennt man die Antwort. Die Übeltäter sind hochaggressive Moleküle, vor allem freie Radikale, die für dieses Zerstörungswerk verantwortlich sind.
Sie werden vielleicht auch schon bei ihrem Pferd oder Hund erlebt haben, dass sich für eine Erkrankung keine schlüssige Erklärung finden ließ. Die Tiere wurden dann mit Medikamenten behandelt, häufig mit Kortisonpräparaten und chemischen Entzündungshemmern. Aber wer hat dabei schon an oxidativen Stress gedacht, der zumindest beteiligt war und gegen den man etwas mit natürlichen Mitteln tun kann. Es ist also gut zu wissen, mehr über freie Radikale zu wissen und was sie so anrichten können.
Oxidativer Stress ist Ursache vieler Erkrankungen
Am meisten gefährdet sind die Fette, die in jeder Zelle u.a. als Bausteine der Zellmembrane vorhanden sind, sie werden oxidiert, also ranzig. Besonders gefährdet sind die roten Blutkörperchen, deren Membrane versteifen. Sie können nun nicht mehr oder deutlich langsamer die Kapillare, also Endblutgefäße, passieren mit der Folge, dass die Zellen nicht mehr genug Sauerstoff bekommen und das CO2 nicht abtransportiert wird, das Gewebe versauert. Extrem gefährdet sind auch die Mitochondrien, die Kraftwerke in den Zellen. Hierher gelangt ja der Sauerstoff und gerade deshalb bilden sich hier auch die meisten freien Radikale. Eine verletztes Mitochondrium löst die Apoptose, also den Selbstmord einer Zelle, aus. Deshalb das Absterben von Gewebeteilen.
Oxidativer Stress wird inzwischen für viele Krankheiten, zumindest als Auslöser, verantwortlich gemacht und ganz sicher als Verstärker.
An allen Entzündungsprozessen sind sie beteiligt. Bei Krebs sieht man sie als Folge von Schäden der Chromosomen, die durch freie Radikale verursacht werden. Folgen sind Verengungen der Blutgefäße, Schäden an den Immunzellen, Schwächen des Bindegewebes und Degeneration der Gelenksknorpel, die gerade bei Hunden und Pferden häufig auftreten, rheumatische Probleme, Schädigung des Pankreas und der Leber. Bei vielen Hauterkrankungen dürften sie beteiligt sein oder die Symptome verstärken, auch dann, wenn allergische Reaktionen die Ursache sind.
Stark betroffen sind die Schleimhäute der Bronchien und das Lungengewebe. Ein Bereich also, in dem bei Pferden häufig Erkrankungen auftreten.
Aber nun die Frage: Was sind denn freie Radikale und was tun sie?
Jedes Atom besteht aus einem Atomkern und aus Elektronen, die um den Kern kreisen. Um sich das besser vorstellen zu können, verglich man es früher in Anlehnung an das bohrsche (Niels Bohr, Physiker, 1885 bis 1962) Atommodell mit unserem Sonnensystem. Nun möchten Elektronen nie alleine um den Kern kreisen, sondern immer zu zweit, also gepaart.
Sind sie aber alleine, versuchen sie, auf dem schnellsten Wege ein zweites Elektron als Partner zu finden, um sich so zu neutralisieren, sie sind also extrem reaktionsfreudig. Bei freien Radikalen ist immer ein Elektron ungepaart.
Ein solches freies Radikal wird nun auf dem schnellsten Wege seinem Nachbarmolekül ein Elektron entreißen, wodurch nun dieser Nachbar seinerseits ein Elektron zu wenig hat und ebenfalls wieder ein Elektron zur Verpartnerung vom nächsten benachbarten Molekül an sich reißt. Das geht so weiter bis zu etwa tausend Mal. Die Folgen dieses Prozesses bezeichnet man als oxidativen Stress. Und da am Anfang nicht nur ein Atom mit ungepaartem Elektron steht, sondern meist sehr viele, hat dieser Dominoeffekt katastrophale Folgen für den Körper bis hin zum Absterben ganzer Gewebeteile.
Die Natur ist weise
Freie Radikale haben zwei Gesichter. Sie sind scharfe Waffen, wenn es um die Zerstörung von Zellen geht. Ist es deshalb verwunderlich, dass sich das Leben diese Fähigkeit zunutze gemacht hat? Wenn freie Radikale körpereigene Zellen zerstören, dann können Sie das auch mit fremden Zellen oder Molekülen. Und genau das tun sie auch. Zellen des Immunsystems, die großen Fresszellen, haben die Aufgabe, Mikroben aufzuspüren und sie zu „fressen“. Haben Sie das getan, produzieren sie augenblicklich eine riesige Anzahl freier Radikale: Wasserstoffperoxid H2O2 und Hydroxyl (OH-) Radikale, mit denen sie die Membrane aufgenommener Bakterien oder Pilze zerstören. Freie Radikale werden auch gegen eigene Zellen aktiviert, wenn diese nicht mehr lebensfähig sind oder gegen entartete, wie Krebszellen. Sie sind also scharfe Waffen im Dienste der Gesundheit. Das ist die eine, die gute Seite. Und das die andere: Freie Radikale wirken ungezielt, sie greifen alle Strukturen in ihrer nächsten Umgebung an, also sehr schnell auch die eigenen gesunden Zellstrukturen.
Wann und wie entstehen freie Radikale?
Die Liste der Radikale bildenden Stoffe ist lang: Tenside und Phosphate in Reinigungsmitteln; viele Chemikalien, mit denen wir täglich umgehen, wie beispielsweise Formaldehyd, Arsen und Hexchlorophen; Luftschadstoffe wie Stickoxide, Schwefeldioxid, Dieselruß und Ozon. Schwermetalle wie Cadmium, Blei, Quecksilber.
Es gibt Fettlöser, wie z. B. Tetrachlorkohlenwasserstoff, deren Aufgabe es gerade ist, freie Radikale entstehen zu lassen, um dadurch die Fette zu zerstören. Gelangt ein solcher Fettlöser in den Körper, sei es über die Haut, den Magen oder die Atemwege, richtet er genau dasselbe an und zerstört damit die Gesundheit.
Dazu kommen die Strahlenbelastung, Ozon in der Luft, große Hitze, Überhitzung des Körpers und die extrem vielen chemischen Stoffe in der Umgebung, u.a. das bekannte Dioxin, aber auch viele Zusätze in Futtermitteln. Eine weitere Ursache sind die Futter selbst, wenn sie mit hohen Temperaturen und Drücken hergestellt oder durch Bestrahlung haltbar gemacht wurden. Und nicht zuletzt müssen hier auch Medikamente erwähnt werden. Manche Tierhalter verstärken die Gefahren noch durch Rauchen. Alle Raucher sollten wissen: Bei einem einzigen starken Lungenzug werden Einhundert Billionen freie Radikale eingeatmet. 100 000 000 000 000!
Sie schädigen Schleimhäute und Lungenbläschen direkt, und es genügt, wenn nur ein Bruchteil davon eine Kettenreaktion auslöst. Vor allem Hunde in Raucherhaushalten sind stark belastet. Wer das Rauchen selbst nicht lassen kann, sollte wenigstens seine Tiere vor dieser Gefahr schützen.
Welchen Schutz gibt es vor freien Radikalen?
Antioxidativ wirkende Stoffe müssen Elektronen liefern, ohne selbst zu freien Radikalen zu werden. Nur so können Verletzungen der Zellen vermieden werden. Dafür hat ein gut ernährter Körper mehrere Schutzmechanismen entwickelt, mit denen unkontrollierte Kettenreaktionen rechtzeitig unterbrochen werden. Einem gesunden und gut versorgten Körper gelingt es, die Produktion und Neutralisierung freier Radikale durch antioxidativ wirkende Stoffe aus der Nahrung und durch körpereigene Enzyme im Gleichgewicht halten, man nennt so ein labiles Gleichgewicht Homöostase. Ich nenne das innere Balance.
Endogene, also körpereigene Antioxidantien, sind z. B. Glutathionperoxidase (ein selenhaltiges Enzym), Superoxiddismutase, Katalase, aber auch Harnsäure, Transferrin (ist auch ein wichtiger Bestandteil der Kolostralmilch), Coenzym Q10, Melatonin und andere mehr. Antioxidativ wirkende Stoffe aus der Nahrung sind die Vitamine C und E. Viele sekundäre Planzenstoffe wirken antioxidativ, so Carotinoide wie Beta-Carotin und Lycopin, dann Flavonoide, Anthocyane, Phytoöstrogene, Saponine.
Enthalten sind sie beispielsweise in Rotem Weinlaub, Tomaten, Ginkgo, Ginseng, japanischem Schnurbaum, Buchweizenkraut, in Beeren, Blättern, Samen oder Wurzeln. Viele Farbstoffe in der Natur erfüllen diese Aufgabe. Sie sind besonders oft in Blütenblättern enthalten, aber auch im Herbstlaub. Ihnen werden Bezeichnungen begegnen wie Quercetin, Lycopin, Lutein, Rutin, Ginsenosid. Wenn Sie die lesen, sind Sie auf dem richtigen Wege.
Die genannten Wirkstoffe kommen aber keineswegs nur in den gerade genannten Pflanzen vor. Viele Pflanzen in Garten und Natur enthalten Radikalenfänger. So enthalten beispielsweise die einheimischen Wildpflanzen Ackerstiefmütterchen, Johanniskraut, Vogelmiere oder Gartenpflanzen wie Raute, Johannisbeere und Hirtentäschel Rutin.
Reich an antioxidativ wirkenden Stoffen sind viele Pflanzen, die auf Wiesen wachsen sollten, aber nur noch an Wegrändern vorkommen, und selbst da nur selten. Viele Wiesenpflanzen sind reich an Antioxidanzien, leider kommen die meisten Arten heute nur noch gelegentlich an den Wegrändern vor.
Pferdehalter müssen hier wach werden. Bei artenarmen Weiden und einseitigem Heu ist eine tägliche Portion Kräuter für die Gesundheit unentbehrlich. Hundehalter sollten sich bewusst machen, dass Fleisch einseitig ernährter Nutztiere qualitativ minderwertig ist. Dabei können Sie Frischfleisch und Dosenfutter noch am ehesten beurteilen, wenn Sie den Hersteller kennen, ihn fragen können und Sie ihn für ehrlich und vertrauenswürdig halten. Bei Trockenfutter wird das sehr schwierig. Vorsicht ist also angebracht.
Klaus-Rainer Töllner, Biologe
05.09.2017