Mutterkorn-Befall auf Futtergräsern
- alle Jahre wieder!
Wie jedes Jahr, so wird auch diesen Sommer Mutterkorn auf abgeblühten Gräsern gefunden. Über diesen Parasiten auf Gras hat artgerecht-tier bereits berichtet. Allerdings kam die erste Meldung über massenhaften Befall beispielsweise im Jahr 2014 bereits am 26. Juni 2014. Das war für einen Massenbefall, der zudem nicht kleinräumig auf eine Region beschränkt zu sein schien, recht früh. Wenn mehrere Grashalme pro Quadratmeter befallen sind, und pro Halm dann auch noch mehrere schwarze Körner gefunden werden, dann ist der Fund als Quelle möglicher Tiervergiftungen sehr ernst zu nehmen.
Wann kommt es zu einem Massenbefall?
Die Voraussetzung für einen Massenbefall ist eine kühl-feuchte Witterung zur Blütezeit der betroffenen Gräser. Diese Witterung verlängert die Blütezeit und bietet ideale Infektionsmöglichkeiten durch den Pilz. Außerhalb der Zeit, in der die Grasblüte durch Gräserpollen befruchtet werden kann, kann kein Mutterkornbefall stattfinden. In feuchten, kühlen Mulden mit Neigung zur Nebelbildung finden die Mutterkorn-Pilze eher die Chance, ihrem Wirtsgras in einem günstigen Moment zu begegnen, als auf trockenen Hügelkuppen. Bei anhaltendem Regenwetter zur Blütezeit spielen solch kleinräumige Reliefunterschiede keine Rolle mehr.
Zwischendurch wünscht der Pilz sich allerdings für seine erfolgreiche Verbreitung über die Luft oder mit Hilfe von Insekten trockenere Phasen.
Wo ist grundsätzlich mit Mutterkornbefall zu rechnen?
Die nächste oft gestellte Frage ist die nach Aufwüchsen, in denen vermehrt Mutterkornbefall zu erwarten ist. Neben überständigen, also abgeblühten Wiesen und Weiden ist insbesondere an Wegrändern und auf Treibwegen mit massivem Befall zu rechnen. Auf viel betretenen Flächen siedeln sich trittverträgliche Gräser an, also z. B. Deutsches Weidelgras und Rohrschwingel. Auf diesen beiden Grasarten finden sich oft sehr viele, besonders große Mutterkörner. Die Wiesenrispe wird ebenfalls sehr gerne befallen. Bei ihr muss man aber schon sehr genau hinschauen, denn die vielen Mutterkörner in ihren Rispen sind oft nur einen Millimeter lang und werden unter den Spelzen, die sie umgeben, leicht übersehen.
Das gilt auch für alle anderen Gräser: Egal, ob Knäuelgras, Wiesenlieschgras, Weidelgras oder Schwingel, wo ein Mutterkorn gesichtet wird, sollte sofort genau hingeschaut werden, ob verborgen unter Spelzen noch mehr schwarze Körner pro Grasblüte gefunden werden. Ein Mutterkorn kommt selten allein.
Mutterkornbefall auf Futtergräsern ist keineswegs neu. Im Buch „Das Mutterkorn“ von Prof. Mühle und Dr. Breuel aus dem Jahr 1977 (vgl. Neue Brehm-Bücherei) wird darauf hingewiesen, dass Mutterkornbefall in der Saatgutproduktion von Weidelgräsern und Wiesenrispen schon damals Probleme bereitete. Sie schreiben weiterhin:
„Aber auch die Wildformen werden oft erheblich heimgesucht. So erscheint z. B. das Deutsche Weidelgras Lolium perenne mitten auf Feldwegen derart von Mutterkorn befallen, daß kaum ein Blütenstand verschont bleibt.“ (Zitat aus Mühle & Breuel 1977, S. 14)
Daran hat sich auch fast 40 Jahre später nichts geändert. Ich hatte jedenfalls noch nie ein Problem, im Sommer frische Mutterkörner auf Gräsern für Anschauungszwecke in meinen Seminaren zu sammeln. Oft finden sich spontan bei den Exkursionen mit den Seminarteilnehmern befallene Gräser und schulen so den Blick der Pferdehalter. Was man selber gefunden, in der Hand gehalten und betrachtet hat, prägt sich auch besser ein.
Übrigens tritt Mutterkorn nicht nur auf den heute als Futtergräsern genutzten Süßgräsern, sondern auch auf den früher ebenfalls genutzten und damals weit verbreiteten Sauergräsern auf und auch diese Entdeckung ist keineswegs neu.
Warum wird Mutterkornbefall dennoch zunehmend zum Problem?
Das Grasland hier in Deutschland hat sich vielerorts innerhalb der vergangenen 40 Jahre dramatisch verändert, insbesondere dort, wo intensive Rinderhaltung betrieben wird: Statt der traditionellen Dauergrünländer aus einer Vielzahl an Gräsern und Kräutern wurden artenarme Weidelgrasflächen angesät. Fanden ursprünglich über Selbstbegrünung von Brachland Wildpflanzen als Grundlage des Kulturgraslandes Verwendung, so kamen zunehmend (alte) Kultursorten in den Handel, die heute längst durch Hochleistungsgräser ersetzt sind. Von altem Dauergrünland kann heute eigentlich nur noch gesprochen werden, wo seit über 40 Jahren ununterbrochen Grasland war und KEIN Saatgut nachträglich eingebracht wurde. Regelmäßige Übersaat kann innerhalb weniger Jahre aus einer artenreichen, ursprünglichen Vegetation einen artenarmen aber produktiven Grasacker für Vielschnittnutzung oder Kurzumtriebweide gestalten.
Es ist leicht verständlich, warum artenarme Grasländer eher einen Massenbefall mit Mutterkorn erleiden können: Wenn an einem Standort sehr viel Gras sehr enger Genetik in Form von einer oder wenigen Zuchtsorten – vielleicht ein und der selben Grasart – steht, dann ist damit zu rechnen, dass alle diese Gräser sich wie die Soldaten in fast identischer Weise verhalten, sprich, sie blühen alle im selben Moment bei einer bestimmten Witterung zu einer bestimmten Zeit. Falls nun gerade Mutterkorn von Wind und Insekten auf diese Wirtspflanzen übertragen wird, dann kommt es zur massenhaften Infektion. Je artenreicher dagegen eine Vegetation ist, desto weniger Gräser und Kräuter sind zur selben Zeit am selben Ort in voller Blüte.
Das macht artenreiches Grünland „nutzungselastisch“, sprich: Da immer nur ein kleiner Teil der Gewächse gerade in voller Blüte und damit in idealem Erntezustand ist, zieht sich der Erntetermin artenreicher, traditioneller Grünländer „elastisch“ über einen sehr langen Zeitraum, nämlich mehrere Wochen, hin. Der Landwirt hat mehrere Wochen Zeit, den Erntetermin nach der Witterung auszurichten, ohne dass die Futtergrundlage dadurch entwertet wird. Artenarme Flächen sind dagegen nur wenige Tage im idealen Zeitfenster für eine Ernte, soll kein Qualitätsverlust eintreten. Statt Heu muss dann notfalls Silage gemacht werden – wenn nicht ohnehin Silage geplant war.
Tatsächlich tritt Mutterkornbefall in Naturschutzgebieten zwar genauso auf wie im Kulturgrasland, einen Massenbefall wird man in Naturschutzflächen jedoch schwerlich finden.
Ab welchem Zeitpunkt ist die Infektion gefährlich?
Die Infektion mit Mutterkorn findet zur Blütezeit statt. Die schwarzen Körner sieht man jedoch erst, wenn die Grassamen reifen. Es stellt sich die berechtigte Frage, ab wann mit Vergiftungen durch den Befall zu rechnen ist. Diese Frage steht für mich auch deshalb im Raum, weil ich mehrfach Anfragen wegen rätselhafter, tödlicher Pferdevergiftungen hatte, bei denen 2-3 Wochen später auf den Flächen massiver Mutterkornbefall sichtbar wurde. Ob zum Zeitpunkt der Erkrankung bereits Mutterkorn sichtbar war, kann nicht geklärt werden, da weder behandelnde Tierärzte noch Pferdehalter darauf geachtet haben. Erst als die Pferdehalter Wochen später bei mir anfragten, ob Giftpflanzen die seltsamen Todesfälle ausgelöst haben könnten, wurde nach Mutterkorn gefahndet – und reichlich infizierte Gräser auf den Flächen gefunden.
Akute Vergiftung
In der Lausitz und in Schleswig-Holstein verendeten Jungpferde plötzlich innerhalb kürzester Zeit. Teilweise waren Menschen anwesend und hatten den Eindruck, die Pferde würden „ersticken“ (plötzlich einsetzender, massiver Pulsdruck-Anstieg mit im Pulsschlag wippendem Kopf-Hals-Bereich, verstärkte Atmung, Panik, blaue Zunge etc.).
Eine akute Mutterkornvergiftung setzt sehr schnell ein, hält aber je nach Dosis nicht lange an, sprich: Wenn der aufgrund der Dramatik gerufene Tierarzt eintrifft, ist das Pferd eventuell bereits wieder auf dem Weg der Besserung oder sogar „gesund“. Die Dosis entscheidet über den plötzlichen Tod oder das Überleben.
Mutterkorngift kontrahiert Blutgefäße und unterbricht so die Durchblutung. Es kann zur Zyanose kommen (siehe Diagnoseunterstützungssystem „Consultant“ für Tierärzte auf der Homepage der Cornell Universität in den USA, Suchbegriff: „fescue foot“). Es können sogar Extremitäten durch die Unterbrechung der Durchblutung absterben und abfallen, also Ohren, Schwänze, Hornkapseln, aber auch Hoden. Als vor einiger Zeit in einem Kälberstall in Norddeutschland über Nacht Ohren von Kälbern abgefallen waren, die am Abend vorher noch völlig gesund erschienen, stellte der Landwirt Anzeige gegen Unbekannt, da er dachte, jemand hätte den Kälbern nachts die Ohren abgeschnitten. Mit einem sofortigen Futterwechsel konnte das Problem behoben werden. In Verdacht gestanden hatte die Silage.
Chronische Vergiftung
Akute Vergiftungen sind selten zu befürchten, häufiger dürften chronische Vergiftungen durch die Aufnahme einer geringen Giftmenge über einen langen Zeitraum sein. Das gilt übrigens umso mehr für die ebenfalls Mutterkorngifte produzierenden Gräsersymbionten unserer Futtergräser, den Endophyten aus der dem Mutterkornpilz sehr nahe verwandten Gattung Neotyphodium. Aber zurück zum echten Mutterkornpilz Claviceps.
Ein in der Lausitz wenige Stunden nach dem letzten Ritt tot auf der Weide gefundenes Pferd, das sehr plötzlich verendet sein musste, wurde obduziert und es fielen schwere Schleimhautentzündungen (Geschwüre im Magen-Darmtrakt) auf. Mutterkorngifte (Ergotalkaloide) verursachen bei der chronischen Vergiftung, also Wirkstoffaufnahme über einen längeren Zeitraum, schwere Schleimhautschäden. Das ist vom Missbrauch Ergotalkaloid-haltiger Medikamente gegen Migräne beim Menschen bekannt.
Zudem verursacht Mutterkorngift über die Senkung des Prolaktinspiegels Hirsutismus, also zu langes Haar, das auch im Fellwechsel nicht abgeworfen werden kann. Nebenbei greifen Mutterkorngifte in den gesamten Stoffwechsel ein, eventuell nachhaltig, und sie beeinflussen den Mineralhaushalt. Wen wundert es, wenn da als Folge von Mutterkorngiften durch mit Neotyphodium infizierte Deutsche Weidelgräser in der tiermedizinischen Fachliteratur Sehnenverkürzungen und Fehlstellungen bei Fohlen, Kropf und Erblindung gemeldet werden, um nur einige Symptome aus einer schier unendlichen Liste von Folgeschäden dieser Vergiftung zu nennen.
Besonders gefährdet schon durch geringste Mengen an Mutterkorn sind grundsätzlich Fohlen: Sie haben kurze Hälse und beknabbern von Natur aus gerne Blüten in bequemer Reichweite ihrer Mäulchen, sie haben noch kein Geschmacksgedächtnis aufgebaut und „wissen“ mit „giftigem Geschmack“ nichts anzufangen, und sie sind wegen ihres geringen Körpergewichts und des hohen Stoffwechsels besonders empfindlich.
Was tun, wenn Mutterkornbefall auftritt?
Dort, wo ein massenhafter Mutterkornbefall vorliegt, kann weder geerntet noch beweidet werden. Entweder man mulcht den Aufwuchs und nutzt ihn als Gründünger für die Ernährung der Humusschicht oder man entscheidet sich, die Fläche ungenutzt stehen zu lassen, bis das Mutterkorn komplett ausgefallen ist.
Dort, wo Mutterkorn massenhaft auftritt, hat der Mutterkornpilz bereits die Landschaft erobert. Ein Abräumen und Vernichten des Aufwuchses hilft zur Eindämmung des Parasiten daher nur bedingt. Wichtiger wäre, in den Folgejahren auf kühl-feuchte Witterung zur Zeit der Gräserblüte zu achten und in solchen Jahren keine Samenbildung der Gräser zu dulden. Zudem sollten dann auch Wegränder und Treibwege bzw. Feldwege mitgemäht werden.
Wie verhält sich Mutterkornbefall in Heu und Silage?
Ich erinnere mich an den Fall eines besonders empfindlichen Pferdes, das bereits mehrfach in seinem Leben an Hufrehe erkrankt war und als einziges Tier eines Stalles immer einen Hufreheschub bekam, wenn Heu einer bestimmten Charge gefüttert wurde. Die behandelnde Tierheilpraktikerin und der Tierarzt wussten nicht weiter, also wurde mir als Botanikerin eine Heuprobe zugeschickt mit der Bitte, doch mal nach Giftpflanzen in dem Heu zu schauen.
Das Heu bestand zu großen Teilen aus überständiger Wiesenrispe. Giftpflanzen waren nicht zu finden und auch sonst machte das Heu hygienisch einen guten Eindruck. Ich wollte schon zurückmelden, dass ich nichts Verdächtiges finden konnte, da entdeckte ich winzige schwarze Pünktchen an mehreren Rispen. Tatsächlich fanden sich, verborgen unter den Spelzen der Ährchen, jede Menge winziger Mutterkörner in den Blütenständen der Wiesenrispen. Die enorme Menge dieser winzigen schwarzen Körnchen reichte offenbar bei dem besonders empfindlichen Pferd bereits aus, um eine erneute Erkrankung auszulösen, während die anderen Pferde mit der Giftbelastung noch ohne auffällige Symptome klarkamen. Vielleicht ist aber auch nur der Reaktion des empfindlichsten Pferdes geschuldet, dass die anderen Pferde gesund blieben, da dieses Heu jedes Mal nach kurzer Zeit wieder abgesetzt wurde, die „Fütterungsversuche“ also hoffentlich rechtzeitig beendet wurden.
Auch bei der Pelletierung für Grünmehl oder Cobs werden die Ergotalkaloide weder durch die hohen Drücke, noch durch die Hitze beim Produktionsvorgang zerstört, ebenso wenig bei der Silage. Zugekauftes Futter ist und bleibt daher ein Risiko.
Dr. Renate Vanselow, Diplom- Biologin
Literatur
Roberts, C.; Kallenbach, R.; Hill, N. (2002) Harvest and storage method affects ergot alkaloid concentration in tall fescue. Plant Management Network. Online: 17.09.2002.
www.plantmanagementnetwork.org/pub/cm/brief/toxicfescue/ (06.07.2008)
https://www.agronomy.org/publications/cm/abstracts/1/1/2002-0917-01-BR (01.08.2014)
26.06.2017