Hirsutismus

- ein sicheres Symptom des Cushing-Syndroms?

Kühe auf der Sommeralm So sollten die Rinder im Sommer auf gesunden Weiden stehen. Leider sind Gräser nicht immer gesund für die Weidetiere ...

Eine Erkrankung, die immer häufiger immer jüngere Pferde trifft, ist das Equine Cushing-Syndrom (ECS). Früher ging man davon aus, dass Tumoren an der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) im Gehirn zu einer Störung des Hormonspiegels führen und dadurch die Erkrankung auslösen würden. Da heute auch Pferde teilweise unter 8 Jahren betroffen sind, ist diese Ursache bei allen Pferden eher unwahrscheinlich. Doch was könnte dann diese Erkrankung auslösen?

Kortisol

Cushing-Syndrom ist ein anderer Name für die wissenschaftliche Bezeichnung Hypercortisolismus, also „ständig zu viel Kortisol“. Die hormonelle Ursache ist eine Störung des Hormonspiegels mit einer deutlich zu hohen Kortisol-Produktion. Kortisol ist ein Gegenspieler des Insulins. Falls der Körper ein Gleichgewicht herzustellen versucht, indem er auch den Insulinspiegel ständig erhöht, dann hat das Pferd ein Problem: Ein 72 Stunden oder länger zu hoch gehaltener Insulinspiegel löst beim Pferd sicher Hufrehe auf allen vier Hufen aus (Asplin et al. 2007). Doch warum ist der Kortisolspiegel zu hoch?

Bei Versuchen an Rindern steigerten Mutterkorngifte (Ergotamintartrat) die Kortisol-Konzentration im Blutplasma (Browning et al. 1998b). Bei Rindern gilt eine erhöhte Kortisol-Konzentration als Stressindikator. Wenn Rinder auf Weiden grasen, die mit Endophyten infiziert sind und damit giftige Wirkstoffe enthalten, dann sind sie ständig einer Mixtur verschiedener Mutterkorngifte (Ergotalkaloide) ausgesetzt. Die chronische Aufnahme endophyteninfizierter Gräser mag laut Browning und Mitarbeitern (1998a) eine Ursache der veränderten Funktion der Drüsengewebe mit reduzierter Fortpflanzung von Kühen auf entsprechendem Grünland sein.

Wenn in den USA ein Rind Laminitis, also Klauenrehe zeigt (tritt dort bei Rindern bevorzugt bei Frost im Winter auf), im Frühjahr nicht in der Lage ist, das Winterfell zu wechseln (Hirsutismus), abmagert, sich in den Schatten oder ins Wasser stellt, um eine Überhitzung des Körpers zu vermeiden (Rinder haben weniger Schweißdrüsen als Pferde und können somit weniger schwitzen, um Übertemperatur, also »Fieber«, zu verhindern), vermehrt trinken und urinieren sowie wegen eines geschwächten Immunsystems infektiöse Erkrankungen erleiden – dann wird bei diesem Rind ganz eindeutig eine Ergovalin-Vergiftung diagnostiziert. Aber halt – waren das nicht die Symptome, die uns für das ECS genannt werden?

Hirsutismus

Speziell der Hirsutismus, also das deutlich zu lange Fell, das nicht im Frühjahr oder Herbst wechseln will, soll doch ein eindeutiges Zeichen für ECS sein! Die Firma Boehringer-Ingelheim, die das Präparat Prascend vertreibt, schreibt in ihrer Informationsbroschüre über das ECS: „Hirsutismus ist das einzige eindeutige Symptom. (…) Ca. 20% der über 15-jährigen Pferde und Ponys leiden am Equinen Cushing Syndrom (ECS)!“ Auch Dr. Albrecht Fenner von Boehringer-Ingelheim gibt in einem Vortrag über das ECS an: „Eindeutig ist der Hirsutismus (Haarwechselstörung bis hin zu ganzjährig zu dichtem, langem und lockigen Haarkleid).“  (Vortrag veröffentlicht z. B. im Hufschmiedejournal „Der Huf“ Nr. 154, 02/2012, S. 26)

Aufhorchen lassen sollte uns Pferdehalter eine Veröffentlichung von Rosenkrans und Mitarbeitern im Jahr 2010. Es ist eine alte Lehrbuchweisheit, dass Mutterkorngifte die Bildung des Hormons Prolaktin im Körper drastisch hemmen. Prolaktin hat aber verschiedene Funktionen. Es sorgt nicht nur für die Bildung der Milch beim Säugetier. Mangel führt hier also zur Milchlosigkeit. Prolaktin ist auch wichtig für das Immunsystem, Mangel führt daher zur Immunschwäche. Rosenkrans und Mitarbeiter zeigen nun die Bedeutung des Prolaktins für die Ausbildung des Haarkleides auf:

Prolaktingaben von 4 mg pro Tag über 45 Tage lösten in Versuchen von Thompson und Mitarbeitern im Jahr 1997, die Rosenkrans zitiert, bei Stuten einen starken Fellwechsel aus. Nagetiere reagieren im Versuch mit verstärktem Haarwuchs und Fellwechselproblemen auf Mutterkorngifte. Beim Schaf finden sich Prolaktin-Rezeptoren in den Haut-Papillen und den Wurzelscheiden der Woll-Follikel. Nicht nur bei Mäusen (Craven et al. 2006) scheinen direkte Zusammenhänge zwischen dem Haarkleid und dem Prolaktinspiegel zu bestehen. Zudem weist Rosenkrans darauf hin, dass sowohl Prolaktin als auch Mutterkorngifte (Ergotalkaloide) direkt die Blutgefäßweite, den Blutfluss und den Blutdruck verändern. Die Angiogenese, das ist die Entstehung neuer Blutgefäße, wird von Prolaktin beeinflußt.

Da Rinder auf das Mutterkorngift Ergovalin der Endophyten in Gräsern mit Klauenrehe (Yoder & Fournier 2002) bis zum kompletten Ausschuhen der Hornkapseln (Parsons & Bohnert 2003) reagieren können, würde ich bei Pferden nichts anderes erwarten. Bei Mutterkornvergiftung tritt bekanntlich eine massive Unterbrechung der Durchblutung an Extremitätenenden ein. Wenn dann auch noch die Neubildung von Blutgefäßen v. a. in der geschädigten Lederhaut verändert ist, dann dürfte der strapazierte Huf sehr ernste Probleme haben.

Ich habe versucht, die Bundestierärztekammer mit ihrer Zeitschrift „Deutsches Tierärzteblatt“ auf die Veröffentlichung von Rosenkrans beim Symposium 2010 aufmerksam zu machen. In der Antwort der Chefredakteurin an mich vom 5. August 2014 heißt es über die Reaktion des Fachausschusses: „Von dort kommt die Einschätzung, dass stichhaltige wissenschaftliche Daten, die die vorgetragene Hypothese stützen, in der Wissenschaft nicht vorliegen und aus Ihrem Beitrag auch nicht hervorgehen. Eine Veröffentlichung kommt also definitiv nicht in Frage.“ Hier sind Fachleute durchaus geteilter Meinung und empfehlen anderen veterinärmedizinischen Zeitschriften den Abdruck der von Rosenkrans dargelegten Fakten.

Dr. rer. nat. Renate Vanselow, Diplom- Biologin

Bildmaterial

Zu den typischen Symptomen der Gräsergifte zählt die Unfähigkeit, im Frühjahr das Winterfell zu wechseln (unshed haircoat). Wie sich Hirsutismus, bedingt durch Endophytengifte, die auf das Haarkleid der Rinder wirken, auswirkt, können Sie im "Tall Fescue online Monograph" der Oregon State University (USA) anschauen. Die Bildunterschriften der dort gezeigten Fotos lauten ins Deutsche übersetzt:
"Fig. 16-1. Ein Angusstier im Juli 2003, nachdem er seit März in Knoxville, TN, mit Endophyten infizierten (E+) Rohrschwingel gegrast hat. Beachten Sie das nicht gewechselte Winterfell und die unvorteilhafte Erscheinung im Vergleich zum glatten und glänzenden Fell des Stieres in Fig. 16-2." und
"Fig. 16-2. Ein Angusstier im Juli 2003, nachdem er seit März in Knoxville, TN, Endophyten-freien (E-) Rohrschwingel gegrast hat."
Die oft beobachtete bronzefarbene Aufhellung wie bei dem hier abgebildeten schwarzen Angusrind (Fig. 16-1) bei dieser Symptomatik, wird allgemein auf Pigmentstörungen durch Kupfermangel zurück geführt
(http://forages.oregonstate.edu/tallfescuemonograph/endophyte/soil/copper): Mit Endophyten infizierte Rohrschwingel nehmen weniger Kupfer aus dem Boden auf, als nicht infizierte Rohrschwingel. Zudem scheinen die Gräsergifte die Aufnahme von Kupfer durch das Rind aus dem Nahrungsbrei zu behindern.
Es wird vermutet, dass das Gift Ergovalin für diese Symptomatik des Fells verantwortlich ist. Ergovalin wird sowohl von infizierten Rohrschwingel (Tall Fescue) als auch von infiziertem Deutschem Weidelgras (Perennial Ryegrass) gebildet."

Literatur


Asplin, K. E., M. N. Sillence, C. Pollitt & C. M . McGowan (2007): Induction of laminitis by prolonged hyperinsulinaemia in clinically normal ponies. – The Veterinary Journal, available online Aug. 24.

Browning Jr., R., F. N. Schrick, F. N. Thompson & T. Wakefield Jr. (1998a): Reproductive Hormonal Responses to Ergotamine and Ergonovine in Cows During the Luteal Phase of the Estrous Cycle. – J. Anim. Sci., 76: 1448–1454.

Browning Jr., R., M. L. Leite-Browning, H. M . Smith & T. Wakefield Jr. (1998b): Effect of Ergotamine and Ergonovine on Plasma Concentration of Thyroid Hormones and Cortisol in Cattle. – J. Anim. Sci., 76: 1644–1650.

Craven, A.J., Nixon, A.J., Ashby, A.G., Ormandy, C.J., Blazek, K., Wilkins, R.J. & A.J. Pearson (2006): Prolactin delays hair regrowth in mice. Journal of Endocrinology, 191: 415–425.

Fenner, A. (2011): Hormonell bedingte Hufrehe. Erkennung, Behandlung und Vorbeugung. – 12tes Internationales Hufbeschlagforum, Olsberg, Germany, 16.-17. September 2011.

Parsons, C.  & D. Bohnert (2003): Health Concerns with Feeding Grass-Seed Strow Residues. – Western Beef Committee. Cattle Producer´s Library. Animal Health Section. CL626.1-4. http://oregonstate.edu/dept/eoarc/sites/default/files/abouthome/scientists/documents/DWB29.pdf; 11.07.2014.

Rosenkrans, C.F., JR, Mays, A.R., Aiken, G.E., & M.L. Looper (2010) 1.6 Prolactin genomics and biology in herbivores. In: C.A. Young, G.E. Aiken, R.L. McCulley, J.R. Strickland, C.L. Schardl (Editors): Epichloae, endophytes of cool season grasses: Implications, utilization and biology. pp. 28-34, The Samuel Roberts Noble Foundation, Ardmore Oklahoma, USA, ISBN: 978-0-9754303-6-1

Yoder, C. & B. Fournier (2002): Survey of Endophytes in Grass Seed Crops in The Peace Region. http://www1.agric.gov.ab.ca/$Department/deptdocs.nsf/all/for1355 ; 31.07.2007.

04.09.2017

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