Der Hortulus des Walahfrid Strabo
Ein Lehr- und Schaugarten
Walahfrid – genannt Strabo – war Abt des Reichenauer Klosters. Er lebte von 809 bis 849. Der Benediktinermönch war Botaniker, Dichter und Diplomat; von 838 bis 849 war er der Abt des Reichenauer Klosters. Um 840 schrieb er das Buch Über die Kultivierung der Gärten, bekannter unter dem Namen Hortulus, das Gärtchen. Es ist eines der bedeutendsten botanischen Werke des Mittelalters, da es einen realen Garten beschreibt. In Versform sind dort in 23 Strophen, 24 Heilpflanzen sowie deren Anwendungsmöglichkeiten aufgeführt. Er vermerkt, dass er nicht nur das Wissen der Alten gelesen, sondern alles auch selbst erprobt und erarbeitet habe. Das macht ihn authentisch, liebenswert und zeitlos.
Strabos Kräutergarten ist der Urtypus eines klösterlichen Kräutergartens. Der dem Original nachempfundene Kräutergarten nördlich des Reichenauer Münsters ist für alle interessierten Besucher geöffnet.
Der Garten wird also fleißig gehackt, Unkrautwurzeln entfernt, der Boden wird mit reifem Kompost gedüngt und das Beet, das sich nun etwas über dem Wegeniveau erhebt, wird mit einem Holzrahmen oder Geflecht umgeben.
Manfred Heßel
Die Klosterinsel Reichenau, 2000 von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt, ist die Heimat von Strabos Kräutergarten, der ursprünglich im 9. Jahrhundert angelegt wurde.
Walahfried Strabo von der Reichenau:
Liber de Cultura Hortorum
Der Reichenauer Mönch Walahfried Strabo hat mit seinem Lehrgedicht Liber de Cultura Hortorum oder auch einfach Hortulus im Jahre 827 ein frühes botanisches Werk geschaffen. So beklagt er sich im Kapitel Schwierigkeiten des Gartenbaus über die Brennnesseln, die im Frühjahr seinen Garten überwuchern und einen dichten Wurzelfilz gebildet haben:
VOM GARTENBAU
Frühling, du Anfang des kreisenden Jahrs und Schmuck seines Laufes! -
Wenn dann reinere Lüfte die heiteren Tage eröffnen,
Kräuter und Blumen, vom Zephyr geweckt, ihre schüchternen Triebe
Aus den Wurzeln senden zum Licht, die im finsteren Schoße
Lang sich verbargen, scheuend und hassend die eisigen Fröste,
Wenn die Wälder mit Laub und die Berge mit üppigen Kräutern,
Lachende Wiesen schon grünen mit Gras, eine Weide der Augen,
Dann haben Nesseln den Raum überwuchert, der vor meiner Türe
östlich zur Sonne sich wendet als Garten auf offenem Vorplatz,
Und auf den Flächen des Feldchens ist übles Unkraut gewachsen,
Pfeilen vergleichbar, verderblich bestrichen mit ätzendem Gifte.
Wie dem zu wehren? So dicht war durch unten verkettete Wurzeln
Alles verwachsen, gleichwie im Stalle der Wärter ein grünes
Flechtwerk verfertigt, kunstvoll gewirket aus biegsamen Ruten,
Wenn die Hufe des Pferds in gestaueter Feuchtigkeit leiden,
Weich und morsch wird der Hornschuh, den schwammigen Pilzen vergleichbar.
Ungesäumt greife ich an mit dem Karst, dem Zahn des Saturnus,
Ruhende Schollen, breche das leblos starrende Erdreich
Auf und zerreiße die Schlingen der regellos wuchernden Nesseln,
Und ich vernichte die Gänge, bewohnt von dem lichtscheuen Maulwurf,
Regenwürmer dabei ans Licht des Tages befördernd.
Dann im Südhauch, bestrahlt von der Sonne, erwärmt sich das Gärtchen,
Und ich umzäume mit Holz es im Viereck, damit es beharre,
Über dem ebenen Boden ein wenig höher gehoben.
Allerwärts wird dann die Erde mit krummer Hacke zerkleinert,
Gärstoff des fetten Düngers darauf gestreut in den Boden.
Manche Kräuter sucht man aus Samen zu ziehen, durch alte
Stecklinge andre zu frischem Keimen und Wachse zu bringen.
Beständiger Fleiß des Gärtners und Frucht seiner Arbeit.
Salbei – Salvia officinalis
Leuchtend blühet Salbei ganz vorn am Eingang des Gartens,
Süß von Geruch, voll wirkender Kräfte und heilsam zu trinken.
Manche Gebresten der Menschen zu heilen, erwies sie sich nützlich,
Ewig in grünender Jugend zu stehen hat sie sich verdient.
Aber sie trägt verderblichen Zwist in sich selbst: denn der Blumen
Nachwuchs, hemmt man ihn nicht, vernichtet grausam den Stammestrieb,
Lässt gierigem Neid die alten Zweige ersterben.
Schwertlinie – Iris germanica
Da will ich nicht übergehen, Gladiole, deren Benennung
Nach dem Namen des Schwerts freischaffende Sprache gebildet.
Du bescherst mir den Schmuck deiner purpurfarbenen Blüte
Früh im Sommer an Stelle des dunkellieblichen Veilchens.
Oder du gleichst Hyacinth, der am Altar Apollos als Blume
Widererstand, aus dem Tod des zarten Jünglings geboren
Und an der Blüte Stirn seines Namens Zeichen verewigt.
Deiner Wurzel getrocknete Stückchen lösen zerrieben
Wir in flüssigem Wein, und der Blase grausame Schmerzen
Dämpfen nicht minder wir trefflich mit diesem künstlichen Heiltrank.
Du gibst dem Walker das Mittel, mit dem er das Leinengewebe
Glänzend und steif appretiert und ihm Duft wie von Blumen verleihet.
Die Lilie – Lilie, lilium candidum
Leuchtende Lilien, wie soll im Vers und wie soll im Liede
Würdig euch preisen die dürftige Kunst meiner nüchternen Muse?
Euer schimmerndes Weiß ist Widerschein schneeigen Glanzes,
Holder Geruch der Blüte gemahnt an die Wälder von Saba.
Nicht übertrifft an Weiße der parische Marmor die Lilien,
Nicht an Düften die Narde. Und wenn die tückische Schlange
Listiger Art gesammeltes Gift aus verderblichem Munde
Spritzt und grausamen Tod durch kaum erkennbare Wunde
Sendet ins innerste Herz, dann zerreibe Lilien im Mörser,
Trinke den Saft, dies erweist sich als nützlich, mit schwerem Falerner.
Oder bei Quetschungen lege man sie auf die bläuliche Stelle,
Alsbald wird man auch hier zu erkennen vermögen die Kräfte,
Die diesem heilenden Stoffe gegeben sind, Wunder bewirkend.
Schließlich ist Liliensaft auch gut bei Verrenkung der Glieder.
08.06.2020
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