Selen
Selen nimmt wie kaum ein anderes Spurenelement eine umstrittene Sonderstellung ein: Es fordert bzgl. seines Bedarfs zu einer Gratwanderung zwischen lebensnotwendiger Menge und toxischer Dosis auf. Die ca. 500 Jahre alte Erkenntnis von Paracelsus „Die Dosis macht das Gift“ ist besonders für Selen charakteristisch.
1817 entdeckt und als toxisch eingestuft, durchlief Selen gerade in den letzten Jahrzehnten hinsichtlich der Einschätzung seiner Bedeutung eine Vielzahl von Wandlungen: In den 1940er Jahren galt es als krebserregend, 1957 wurde der lebensnotwendige Bedarf für Ratten erkannt und 1973 dann mit der Entdeckung der Glutathionperoxidase (einem bedeutenden selenhaltigen Enzym) die Lebensnotwendigkeit des Selens auf den Menschen übertragen. Seit den 1960er Jahren werden auch antikanzerogene Eigenschaften dieses Elements diskutiert.
Die Bezeichnung Selen stammt aus dem Griechischen (Selene = die Mondgöttin), sicher angeregt durch den silbrig-matten Glanz des gereinigten Elements.
Selen zählt zu den Halbmetallen mit enger chemischer Verwandtschaft zum Schwefel. Selen ist für den Körper lebensnotwendig und muss mit der Nahrung aufgenommen werden. Es hat eine herausragende Bedeutung als Baustein für zahlreiche Eiweiße (Selenoproteine), die wiederum in Form von Enzymen zentrale Funktionen im Stoffwechselgeschehen ausüben (Glutathionperoxidase (GPx) oder sog. Deoidasen im Schilddrüsenstoffwechsel). Laut wissenschaftlichen Vermutungen existieren darüber hinaus wohl weitaus mehr Selenoproteine, deren Funktion und Struktur noch unbekannt sind.
Vorkommen
Selen kommt sowohl in tierischen Geweben als auch in Pflanzen vor. In der Natur ist es sehr weit verbreitet und findet sich überall dort, wo auch Schwefel anzutreffen ist. Allerdings liegt es kaum als freie Selenverbindungen vor, sondern als Selen-Aminosäurenverbindungen (Selenomethionin und Selenocystein) eingebunden in Eiweiße, als sogenannte Selenoproteine.
Pflanzen nehmen Selensalze auf und überführen sie hauptsächlich in Selenomethionin, während tierische Proteine Selen in Form von Selenocystein – auch 21. essentielle Aminosäure genannt – enthalten.
Der Selengehalt der Pflanzen ist abhängig von der Selenkonzentration im Boden, wobei es allerdings selenakkumulierende (selenanreichernde) und selensensitive (nur wenig Selen aufnehmende) Pflanzenarten gibt. Im Vergleich zu dem sehr selenreichen Weizengürtel in den USA sind die Regionen Mitteleuropas selenarm. Betrachtet man die Nahrungskette, bestimmt daher der Selengehalt des Bodens den Selengehalt der Nutzpflanzen und folglich den Selen-Status der Nutztiere, des Menschen und den unserer Pferde und Hunde. Vorsorglich werden die Nutztiere zusätzlich zum Futter reichlich mit Selen über Mineralfuttermischungen versorgt (bis 500 Mikrogramm/kg Futter). Dadurch sollen sie besser gedeihen, eine höhere Reproduktionsleistung erreichen, mehr Milch geben usw. und im Rahmen der Nahrungskette als Selen akkumulierende Lebewesen die offenbar stets befürchtete Selenunterversorgung des Menschen verhindern.
Hauptquellen für Selen sind tierische Eiweiße, die Selenocystein enthalten, z.B. Fleisch und Innereien (Leber, Niere), Eier, Käse, Fisch und Meeresfrüchte. Pflanzliche Nahrung ist deutlich weniger selenhaltig als Nahrung tierischen Ursprungs. Höhere Selengehalte weisen allerdings Paranüsse, Brazilnüsse, Kokosnüsse und vor allem Knoblauch auf. Auch Hülsenfrüchte und Getreide sind Selenlieferanten.
Aufnahme und Verwertung
Die Verwertung des Selens im Organismus ist noch nicht vollständig geklärt und wird in der Literatur sehr widersprüchlich diskutiert. Die Aufnahme und Resorption von Selen – diesbezüglich herrscht Einigkeit – erfolgt im Gegensatz zu anderen Spurenelementen unabhängig von der Selenkonzentration in der Nahrung und ohne homöostatische Kontrolle. Es existieren keine Kontrollsysteme, die einen Überschuss an Selen verhindern könnten.
Die Selenaufnahme in den Körper der Pferde und Hunde hängt von der Art der chemischen Verbindung ab: Elementares Selen und Selensulfide (z. B. in Anti-Schuppen-Shampoos) werden nur schlecht, Selenite (Selen-Sauerstoffverbindungen) oder selenhaltige Eiweißverbindungen hingegen gut vom Körper aufgenommen. Selen aus pflanzlicher Nahrung ist nicht akut verfügbar, sondern stellt eine Selenspeicherform dar. Es wird als Selenomethionin im Dünndarm aufgenommen, zu elementarem Selen oder Selenwasserstoff abgebaut und dann als Selenit über die Darmschleimhaut resorbiert. Allerdings ist auch Selenocystein nicht direkt bioverfügbar, da es zunächst enzymatisch abgebaut werden muss, um für den weiteren Stoffwechselweg verwertbar zu sein.
Selenit und Selenat, beides Selenoxide (Selensauerstoffverbindungen), sind im Gegensatz zu Selenoproteinen akut bioverfügbar. Dies ist entscheidend und unter Umständen sehr bedenklich für die Fütterung der Pferde und Hunde: Selbst bei angemessener Selenzufuhr durch das Futter kann es zu punktuellen Überschreitungen der oberen Grenzwerte, im Klartext, zu Vergiftungen kommen!
Anorganische Selenverbindungen wie Natriumselenite stehen dem Körper, wie bereits erwähnt, sehr schnell zur Verfügung, sie bilden die Vorstufe zur Synthese von Selenocystein. Der Einbau des Selens aus Natriumselenit in Proteine unterliegt wissenschaftlichen Studien zufolge einer strengen Regulierung auf molekularbiologischer Ebene, d.h. hier gibt es eine homöostatische Kontrolle. Selenomethionin soll dagegen auch unreguliert und unspezifisch in Körpereiweiße (auch ohne selenabhängige Funktion) eingebaut werden können. Dies hat zur Folge, dass bei regelmäßiger hoher Selenzugabe über das Futter eine Akkumulation von Selen in den Körpergeweben und im Blut erfolgen kann, deren Auswirkung überhaupt noch nicht erforscht ist.
Das Fatale an der Sache ist, dass die Freisetzung von Selenomethionin aus den Eiweißen, deren größter Speicher die Muskulatur ist, nicht entsprechend des jeweiligen Selenbedarfs, sondern in Abhängigkeit vom Methioninumsatz geschieht. Gebundenes Selenomethionin wird für die Selenbedarfsdeckung gar nicht mobilisiert, sondern kann sich anreichern. Aus diesem Grund wird vermutlich das – eigentlich bedeutend giftigere – Natriumselenit den Tierfuttern beigemengt, zudem ist es eine ausgesprochen kostengünstige chemische Verbindung! Insbesondere das Pferd als Dauerfresser könnte in dieser Hinsicht ein Problem bekommen: Statt die Selenmenge über den ganzen Tag verteilt aufnehmen zu können (so wäre es in der Natur vorgesehen), muss es in kurzer Zeit die Gesamtmenge Selen – über Müsli, Pellets oder Mineralfuttermischungen – verwerten. Es könnte also durchaus zu einer zeitweiligen Überschreitung der Toxizitätsschwellen in einigen Geweben kommen – und zwar jeden Tag, jeden Monat oder gar über Jahre! (s. Brosig 2006)
Organisch gebundenes Selen als Selenocystein hingegen kann, da es stoffwechselmäßig erst einmal freigesetzt werden muss, zumindest nicht zu dieser überschießenden Anreicherung führen. Da Selenocystein hauptsächlich in tierischer Nahrung vorkommt, wird es doch vom Pflanzenfresser Pferd wohl kaum über die Nahrung aufgenommen? Irgendwie ist hier doch der Wurm drin … Studien zu dieser Thematik gibt es offenbar nicht.
Alle Selenverbindungen überwinden die Plazenta-Schranke und können sich im Fötus anreichern!
Im Körper gibt es kaum freie Selenverbindungen oder Salze, wie z. B. Natriumselenit, und trotzdem werden sie den Pferde- und Hundefuttern großzügig zugesetzt. Evolutionsbiologisch haben die Tiere nie die notwendigen Enzyme – und auch Bakterien – entwickelt, um mit diesen Verbindungen ‚fertig zu werden’.
Die Gewebe mit der höchsten Selenkonzentration sind Nieren, Leber, Milz und Muskulatur. Auch das Gehirn und die Schilddrüse weisen hohe Selengehalte auf. Da Selenit unlösliche Komplexverbindungen mit Schwermetallen eingeht (Entgiftungsfunktion), kann es bei entsprechend stark belasteten Tieren zu nicht mehr mobilisierbaren Ablagerungen z. B. in den Nieren kommen. Die Ausscheidung des Selens geschieht über Urin und Kot. Auch über die Haut und zu einem geringen Teil über die Atemluft kann Selen ausgeschieden werden. Bei starker Selenbelastung tritt der typische knoblauchartige Geruch bzw. Geruch nach faulem Rettich auf, bedingt durch die Bildung von Dimethylselenid.
Wirkung
Viele Stoffwechselprozesse, an denen Selen beteiligt ist, sind noch überhaupt nicht bekannt. Die derzeit am besten erforschte Funktion des Selens ist seine antioxidative Wirkung (Schutz vor freien Radikalen) als Bestandteil des Enzyms Glutathionperoxidase (GPx).
Auch die Unterstützung der Schilddrüsenfunktion und der positive Einfluss auf die Spermienbildung sind nachgewiesen.
Weiterhin spielt Selen eine bedeutende Rolle im Kohlenhydratstoffwechsel, da es an der Insulinübertragung zwischen den Zellen entscheidend beteiligt ist.
Selen ist in der Lage, Schadstoffe aus dem Körper zu eliminieren, indem es schwerlösliche Komplexverbindungen z. B. mit Metallen (Blei, Quecksilber, Cadmium) bildet, und wird deshalb auch ‚Umweltgiftschutz-Nährstoff’ genannt. Somit soll Selen stärkend auf das Immunsystem wirken. Letzteres ist allerdings nicht ausreichend geklärt, ebenso wenig die vorbeugende Schutzwirkung gegen Herzinfarkt und Krebserkrankungen.
Bedarf und Mangelerscheinungen
Für kein anderes Spurenelement existieren derart widersprüchliche Aussagen bezüglich des Bedarfs wie für Selen. Und dennoch wird es ziemlich ungehemmt (seit Beginn 2000 standardmäßig) den allermeisten Pferdemüslis, Mineralfuttern und der Hundenahrung zugesetzt.
Deutschland ist ein Selenmangelgebiet – so lauten üblicherweise die Behauptungen. Daher seien die meisten Pferde in diesem Gebiet selenunterversorgt. Das dient als Legitimation zur permanenten Selensupplementierung über Ergänzungsfuttermittel. So einfach ist das. Im Vergleich zu den außerordentlich stark selenhaltigen Böden des sogenannten Weizengürtels haben deutsche Böden natürlich einen relativ niedrigen Selengehalt. Doch welcher Maßstab gilt als relevant für die Gesundheit unserer Pferde und Hunde? Die Ermittlung von Selen-Mindestwerten für Pferde wurde genau in dieser Region der USA durchgeführt, so dass logischerweise alle unsere Pferde unter einem – definierten und willkürlich festgelegten – Selenmangel leiden! Hier liegt doch der Hase im Pfeffer (s. Brosig 2004).
Ebenso erweist sich die Beurteilung von Selen-Normalwerten im Blut von Pferden als sehr unklar. Die Grenzwerte des Normalbereichs werden nämlich von Labor zu Labor sehr unterschiedlich festgelegt:
Angaben in Mikrogramm/Liter
Labor: |
Vet.-Med.-Lab |
Biocontrol |
Tierlab |
Laboklin |
US-Werte |
Selen |
80-150 |
28-133 |
140-250 |
50-150 |
60-300 |
Ein im Grunde genommen völlig gesundes Pferd könnte laut dieser willkürlich festgelegten ‚Normalwerte’ als selenunterversorgt gelten! Erschwerend kommt hinzu, dass der Selen-Status im Blut derzeit keine zuverlässige Aussage über den Selengehalt in den Körpergeweben trifft: Der Plasma- und Serumselengehalt ist nur der Spiegel kurzfristiger Änderungen der Selenkonzentrationen, z. B. nach der Nahrungsaufnahme. Auch Störungen der Leber- und Nierenfunktionen – wie sie heutzutage bei vielen Pferden und Hunden vorkommen – beeinträchtigen die Plasmaselenbestimmung: Über 50% des gesamten Plasmaselens sind als sog. Selenoprotein P gebunden. Diese Selen-Eiweißverbindung wird vor allem von der Leber und – in geringerem Umfang – von den Nieren sezerniert.
Statusermittlung
Auch zeigen viele Blutbilder im Grunde verfälschte Selenwerte: Wegen der Interaktionen der Spurenelemente untereinander resultiert bei einem Zink-, Kupfer- oder Manganmangel ein quasi ‚falsch’ erhöhter Selenwert, den die Labore dann als Referenzwert bestimmen! Hier muss auf die vielschichtig vernetzten und wahrscheinlich noch weitgehend ungeklärten Wechselwirkungen aller Mineralstoffe hingewiesen werden.
Ebenso ist die Bestimmung der GPx-Aktivität im Blut hinsichtlich der Selenversorgung nur eingeschränkt möglich. Dieser Ansatz der Selen-Statusermittlung ist als solcher bereits fragwürdig: Die zu ermittelnden Selenrichtwerte sollen sich an der ständig optimalen (auf Hochtouren laufenden) Aktivität der GPx orientieren!
Kein Körpersystem wird sich sozusagen ständig verausgaben, um einen Organismus in innerer Balance zu halten! Im Gegenteil – trotz ausreichender bzw. reichlicher Selenzufuhr wird es zur Erschöpfung und Erlahmung der Strukturen (Organe, Gewebe, Enzyme) kommen, unter Umständen mit weitreichenden Störungen von Stoffwechselprozessen. Neueste Studien zeigen die Störung der Insulinsignalübermittlung im Organismus bei erhöhtem Selen-Status und dadurch bedingter verstärkter GPx-Aktivität auf. Eine erhöhte Selenkonzentration im Organismus gilt diesen Untersuchungen zufolge als Risikofaktor bei der Entstehung von Insulinresistenz und damit von EMS und Diabetes Typ 2.
Bedarfsermittlung
Auch der Vergleich zwischen den Selen-Empfehlungen für Menschen und denen für Pferde lässt Zweifel an der Angemessenheit willkürlich definierter Selen-Bedarfszahlen für Pferde und Hunde aufkommen: Die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) spricht für den Menschen die Empfehlung von täglich 0,03-0,07 mg Selen aus, dies entspricht ca. 1 Mikrogramm/kg Körpergewicht.
Vergleicht man Mensch und Pferd hinsichtlich dieser Empfehlung, so müsste ein Großpferd von 500 kg mit maximal 0,5 mg Selen täglich auskommen. Die Wirklichkeit sieht allerdings anders aus:
Für Pferde gelten Fütterungsempfehlungen von 0,15-0,2 mg Selen/kg Futtertrockenmasse bzw. 3 Mikrogramm/kg Körpergewicht. Dies bedeutet für ein Großpferd von 500 kg eine tägliche Selenaufnahme von 1,5 mg. Eine Selenzufuhr von 2 mg erreicht die Schwelle zur chronischen Toxizität. Die AAFCO (Association of American Feed Control Officials) spricht für Hunde Empfehlungen von 0,11 mg/kg Futtertrockenmasse aus. Studien an Welpen ergaben auf Basis der Optimierung der GPx-Aktivität sogar die doppelte tägliche Menge!
Ergänzend soll erwähnt werden, dass es sich erstens bei Selen-Bedarfswerten um Schätzwerte handelt, da der Bedarf (beim Menschen) nicht genau ermittelt werden konnte (s. Heseker 2001). Zweitens wurden die DGE-Schätzwerte bezüglich der maximalen Selen-Zufuhren im Vergleich zu alten Werten mittlerweile deutlich herabgesetzt!
Ein aufmerksamer Blick auf die Etiketten mancher Pferdemüslisäcke offenbart, dass bei den derzeit gängigen Fütterungsempfehlungen tägliche Selenmengen erreicht werden, die im Bereich der chronischen Vergiftung liegen!
Warum sollten diese Bedarfszahlen richtig sein?
Die Ableitung eines dreifach höheren Selenbedarfs für Pferde im Vergleich zum Menschen ist biologisch falsch: Die Abhängigkeit der Stoffwechselrate vom Körpergewicht des Tieres (oder des Menschen) ist nicht proportional, sondern ein größeres bzw. schwereres Tier hat einen vergleichsweise geringeren Stoffumsatz. Dies liegt begründet in den Gesetzen der Allometrie, einem Zweig der vergleichenden Physiologie.
Allometrie
Das Messen und Vergleichen von Beziehungen zwischen der Körpergröße eines Tieres/Menschen und deren Verhältnis zu verschiedensten biologischen Größen (Lungengewicht, Blutvolumen, Körperoberfläche, Stoffwechselrate u.a.)
Langzeitstudien zur Selenwirkung bei Pferden und Hunden gibt es nicht. Der Vergleich mit Pferden, die in der Region des ausgesprochen selenreichen Weizengürtels (USA) leben, hinkt. Studien (s. Brosig 2004) zeigten stattdessen die außerordentliche Leistungsfähigkeit und Zähigkeit von Pferden aus dem Gebiet des selenarmen Trakehnen. Dieses einstmals bedeutendste Pferdezuchtgebiet weist derart niedrige Selenwerte im Gras, Heu und Getreide auf (laut Uni Paderborn haben sich die Selengehalte des Futters am gleichen Standort in den Jahren 1946- 1995 nicht geändert, blieben also 50 Jahre unverändert), dass sie im Licht der offiziellen Selen-Fütterungsempfehlungen eigentlich keinem Pferd das Überleben hätten sichern können.
Mangelerscheinungen
Da Selen an einer Vielzahl von Stoffwechselvorgängen beteiligt ist, kann natürlich ein Mangel zu mannigfaltigen Krankheitssymptomen führen. Die beim Menschen typische Selenmangelerkrankung ist die vornehmlich in selenarmen Regionen Chinas vorkommende Keshan-Krankheit (Herzmuskelerkrankung), die große Ähnlichkeit mit der Weißmuskelkrankheit der Weidetiere aufweist. Weiterhin bewirkt eine Selenunterversorgung bei Pferden und Hunden Zellschäden der Skelettmuskulatur, Muskelschmerzen und steifen Gang, Fruchtbarkeitsstörungen oder plötzlichen Fohlen- oder Welpentod. Auch unspezifische Lahmheiten können auftreten und das Abwehrsystem kann geschwächt werden.
Die heutzutage übliche Pferdefütterung kann unter Umständen einen erhöhten Selenbedarf nach sich ziehen: Vermehrte Schadstoffbelastung der Tiere führt wegen verstärkter Entgiftungsprozesse zu einem Mehrverbrauch an Selen. Ebenso können eine gestörte Darmflora und die häufige, reichliche Zufütterung von Ölen – insbesondere Leinöl – deutlich mehr Selen verbrauchen. Leinöl besitzt trotz seiner ausgezeichneten Anteile an ungesättigten Fettsäuren einen nur sehr geringen Vitamin E-Gehalt und hat dadurch einen stark Selen zehrenden Effekt.
Überversorgung mit Selen (Selenose)
Anzeichen einer chronischen Überversorgung ähneln zum Teil sehr denen einer Selenunterversorgung. Aufgrund der Inaktivierung von Enzymen nach Austausch von Schwefelatomen gegen Selenatome (wegen ihrer chemischen Ähnlichkeit) in den Eiweißen kann es zu tiefgreifenden Stoffwechselstörungen kommen.
Bei Pferden charakteristisch sind ringförmige Einschnürungen an den Hufen bis schlimmstenfalls zum Ausschuhen. Bröckelige Hufe, gehäuftes Auftreten von Hufgeschwüren und die Entwicklung von Hufrehe können als Symptome eines chronischen Selenüberschusses beim Pferd auftreten. Haarausfall bei Pferden und Hunden (Schweif, Mähne beim Pferd), Apathie und Appetitmangel, steifer Gang, Muskelschwächen, unspezifische Lahmheiten, Gewichtsverlust, Neigung zu Koliken und Durchfall, Sehstörungen bis zur Erblindung, Huf- bzw. Krallenmissbildungen beim Neugeborenen, Degeneration von Leber und Milz und Nierenschädigungen können Zeichen einer Selenüberversorgung sein.
Fazit
Pferde- und Hundehalter sollten ein kritisches Augenmerk auf die Selensupplementierung ihrer Tiere durch das Futter richten. Wie bereits erwähnt enthalten viele (leider die meisten) Futtermittel und Mineralfutter sowohl für Pferde als auch für Hunde in Bezug auf die jeweiligen Fütterungsempfehlungen überhöhte Selenmengen. Selbst bei einem vorübergehenden Mehrbedarf an Selen (hohe Leistungsanforderungen, tragende oder laktierende Stuten und Hündinnen) sollte man keine falschen Schlüsse ziehen und die Gefahr einer provozierten Selenüberversorgung bzw. -vergiftung des Tieres verharmlosen!
Insbesondere für Pferde, die als anfällig für EMS und Hufrehe gelten, bietet der Markt Spezialmüslis mit besonders hohen Selengehalten an, die bei der angegeben Fütterungsempfehlung den Schätzwert zur chronischen Selenvergiftung überschreiten. Allein diese Tatsache lässt das Vertrauen in die Herstellung und den Vertrieb artgerechter, gesunderhaltender Futtermittel für unsere Tiere drastisch schwinden. So etwas nennt man im Humanbereich unter Umständen ‚fahrlässige Körperverletzung’, im Tierbereich wohl Tierschutzrelevanz!
Dr. Frauke Garbers, Biologin
Quellen
Dr. Stefan Brosig, Leserbrief zu „Die ewige Baustelle“, Cavallo 1/2006
Dr. Stefan Brosig „Pferde: Unser täglich Selen gib’ uns heute?“ erschienen auf Pferdeglück 2004
Helmut Heseker „Deutschland – ein Selenmangelland?“, Universität Paderborn 2001 (Link)
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