Warum ich keine Reitzeitschriften mehr lesen mag

Persönliche Meinung!

Pferde in RobusthaltungWenn ich mir hin und wieder ein paar Pferdezeitungen kaufe, da ich selbst schon lange glücklicher Pferdebesitzer und aktive Reiterin bin, komme ich neuerdings immer öfter aus dem Staunen nicht heraus. Manchmal scheint mir, dort wird von einer anderen Spezies gesprochen, als die meiner vierbeinigen Kameraden, die sich bei mir ab und an vor Lust im Garten wälzen, vor dem nächsten Mähen das besonders beliebte Kurzgras abfressen und Fallobst auflesen dürfen.

Es bedrückt mich, dass ich in den letzten Jahren immer mehr von Restriktionen natürlicher pferdlicher Bedürfnisse lese: Äpfelchen und Möhrchen bitte unbedingt waschen und klein schneiden! Grasen bitte nur stundenweise und zu vorgeschriebenen Tageszeiten, am besten mit „Schlafanzügelchen“ ganz eingepackt! Dabei fressen Pferde in freier Natur an die 20 Stunden am Tag und stehen sogar lieber in Regen und Schnee als in einer geschlossenen Box. Junge Pferde, die vor Kraft strotzen, nur bloß nicht bewegungsmäßig überfordern, lieber in Bodybuildermanier fett füttern! Dabei ist es ja eher so, dass die meisten Freizeitpferde eher unterfordert sind und zu Stoffwechselentgleisungen durch ein Zuviel an Kraftfutter neigen. Nur einseitige Bewegung zeitigt Schäden, aber keineswegs Bewegung an sich.

Heu kann heutzutage nur noch eingeweicht gefüttert werden, Jahrhunderte lang wurde es trocken verfüttert. Niemand fragt, warum das so ist. Aber ich sag es Ihnen: Mehr Umweltgifte und schlechtere Immunabwehr. Das Pferdestandardfutter alter Tage, der Hafer, ist auch in Verruf geraten. Und modernerweise zieht man selbst dem bravsten Pferd eine Kette über die Nase, normales Stallhalfter mit Führstrick im Ring reichen nicht mehr. Dabei würden viele Pferde ihrem Besitzer auch freiwillig folgen, so sie denn keine schlechten Erfahrungen mit ihm gemacht haben.

Selbst bei Bodenarbeit kann anscheinend heute kein Pferd mehr ohne Gamaschen gehen, das wäre als wenn wir normale Hausarbeit selber nur noch mit Bandagen um die Handgelenke ausführen könnten! Und sowieso schnürt man diesen lufthungrigen Kreaturen aus Gewohnheit mit einem Lederriemen fast die Nase zu, egal ob sie Hochleistung im Sport erbringen oder eine Stute decken sollen. Nicht mal richtig flemen konnte der Hengst mit dem dummen Ding, den ich im Fernsehen sah. Aber der Ansager machte seinen Kommentar, wie lustbetont es für die ausgebundene und vergewaltigte Stute und den am Lederriemen mit Trense deckenden Hengst doch sein müsse. Welch tierweltfremde Interpretation!

Pferden ist ausschließlich Nasenatmung möglich, und gerade die wird durch Sperrhalfter behindert. Pferde haben außerdem ein großes Lungenvolumen und einen besonders großen Bedarf an Sauerstoff. Erst sperrt man sie in ammoniakgeschwängerte Stallluft, dann in staubige Reithallen und wenn sie dann mal Waldaromen schnuppern dürfen, schnürt man ihnen die Atemwege mit Nasenriemen und Rollkuren ab. Dabei sieht man es so oder so, die harte Hand des Reiters, denn das Pferd wird auch mit Sperrhalfter die Zunge zeigen oder den Kopf hochwerfen, um dem Druck im Maul auszuweichen. Also warum dann zuschnüren?

Auf einem Titelbild sehe ich Totilas, unser Wunderpferd, der alles kann und alles macht. Und trotzdem schnürt man ihm das Maul zu. Der braucht das nicht. Aber er wird sich wie die meisten Pferde inzwischen leider daran gewöhnt haben müssen.

Überhaupt sollte gelten: Weniger Leder ist mehr! Und man staune über die Freiheitsdressuren, wo jedes Tier die  Möglichkeit hätte, eigene Wege zu finden und die manchmal eben auch wohltuend „daneben gehen“ , weil Pferde zum Glück nicht alle nur Maschinen sind, die auf Knopfdruck funktionieren.

Indianer ritten ohne Sattel nur mit einem Lederriemen im Pferdemaul mit Zügeln und sonst nichts, und ganz gewiss konnten sie keineswegs schlechter reiten als der Vereinsreiter von heute.

Man stelle sich vor, wir Menschen wären jeweils allein auf einem Bett mit Brettern drum herum in Dämmerlicht und stickiger Luft eingesperrt, wir könnten nur liegen, aufstehen und uns drehen. Immerhin, die gute Suppe wird uns gebracht, das Highlight des Tages. Aber wenn wir dann mal rauskommen, dürften wir uns nur nach Vorschrift in Ballettmanier bewegen, freudige Luftsprünge würden mit Prügelstrafe oder noch längerer Einzelhaft geahndet.

Was vermitteln wir eigentlich Kindern in vielen Reitställen beim ersten Kontakt mit dem Pferd? Es muss für den eigenen Ehrgeiz unterworfen werden! Einfühlsamkeit wird nicht gelehrt, artgerechte Bedürfnisse auch nicht. Anfänger und kleine Kinder lernen vom ersten Tag, an Hand und Fuß bewaffnet aufs Pferd zu steigen, oben Peitsche, unten Sporen, dazu am besten noch Ausbinder oder Kandare dazu, Sattel sowieso. Dabei lernen Kinder am besten sitzen, wenn sie ihr Gleichgewicht auf dem blanken Pferderücken finden und geschmeidig, viel schneller als Erwachsene, mit dem Takt des hoffentlich in der Größe passenden Pferdchens mitschwingen und so auch einen vom Zügel unabhängigen Sitz erlangen.

Merken alle diese Leute nicht, dass psychisch normale Pferde immer versuchen, sich den ausgefallendsten Wünschen des Menschen anzupassen, wenn immer er sich entsprechend verständlich macht? Pferde gaben und geben ihr Letztes im Krieg, auf der Flucht, im Sport und haben schon viele Leben mit ihrem überragendem Ortsinn gerettet. Sie tun vollkommen unsinnige Dinge nur für uns: Sie springen über Hindernisse, für die jedes normale Pferd in der Natur niemals Energie zur Überwindung desselben verschwenden würde. Sie legen sich uns zuliebe auf Kommando hin, auch wenn sie nicht schlafen wollen und sich nicht entspannt und sicher in einer neuen Arena fühlen, nur weil wir es ihnen beigebracht haben. Pferde sind so schlau, einen kleinen weißen Draht zu respektieren, aber gleichzeitig können sie über 1,80 m springen. Haben diese Menschen noch nicht verstanden, dass Pferde supersensible Wesen sind, die jede kleinste Körperregung von uns nicht nur registrieren, sondern sogar vorausahnen können und oftmals sogar mit vorauseilendem Gehorsam quittieren?

Das Schlimmste was ich in einer Reitzeitschrift einmal gelesen habe war Folgendes: Ein Pferdehändler wurde gefragt, welcher Typ Pferd denn am besten verkäuflich sei. Man erwartet eine Antwort „Springpferde“ oder „Quarter Horses“. Nein, der Mann sagte: „ Die quälbereiten Pferde.“ Sagt das nicht einiges über unsere eigene Spezies aus, die wir uns für ach so human und vernunftbegabt halten? Pferde als Kuscheltiere für Frauen und Sportgeräte für Männer? Wer Pferde so betrachtet hat ihr Wesen nicht verstanden. Pferde sind weder reine Schmusetiere, noch Spieltiere und viele verwechseln Draufsitzen und Nicht-Runterfallen mit Reiten.

Nicht umsonst wurden in der Geschichte des Menschen Pferde als Symbol von Schönheit und Kraft vergöttert, Hunde aber der Hölle und dem Tod zugeordnet. Das erklärt auch, warum oft die schwierigsten Pferde die intelligentesten sind, denn sie haben noch genug Selbstachtung sich zu wehren oder zu entziehen. Und wenn es einer richtig mit ihnen anstellt, werden gerade aus denen oft überragende Leistungsträger. Das wusste Xenophon vor 2500 Jahren schon: „Pferde, die sich nicht brechen lassen, sind die besten.“

Und wenn ich Martingals in Kandarengebisse verschnallt sehe, Kopf-runter-riegeln oder blutige Sporenstiche auf Abreiteplätzen, dann wissen Sie auch, warum ich keine Lust mehr auf Turnierbesuche habe. Die Hyperflexion des Halses belastet Sehnen, Bänder, Muskeln und Gelenke und verursacht Folgeerkrankungen wie Rücken-, Nackenband-, Schleimbeutel- und Wirbelerkrankungen, sowie Muskelverhärtungen, wenn nicht sogar Magengeschwüre durch Stress.

Den wenigsten Reitern wird beigebracht, was Selbsthaltung und Aufrichtung ist. Auch ein Mensch kann mit dem Kopf auf der Brust nicht gut vorwärts laufen. Manche Dressurpferde wissen gar nicht mehr, wie schön sich ein gestreckter, speedvoller, losgelassener Galopp anfühlt. Und so manches Rennpferd würde es gerne mal langsamer angehen lassen. Nach Meinung von Fred Rai und meiner Wenigkeit ist die Behauptung falsch, dass Pferde Reiter nur mit versammelter Kopfhaltung und Rückenwölbung ohne Schäden tragen können. Man schaue nur mal, welche Kopfhaltung mit Halsring gerittene Pferde oder Distanzpferde freiwillig einnehmen und auch Tölter gehen nicht mit tiefem Kopf. Und diese Pferde sind nicht etwa alle auf den Beinen kaputt. Mit welchem Recht schreibt der Mensch dem Pferd nicht nur die Fußfolge, sondern auch noch die Kopfhaltung vor? Eine der vielen menschlichen Anmaßungen. 

Pferdegerechtes Reiten ist mit völlig verschiedenen Reitweisen, Ausrüstungen und Pferderassen möglich. Darauf kommt es nicht an, sondern auf das menschliche Einfühlungsvermögen in das ganz andere Wesen. Und da machen die Westernturniere nur teilweise eine Ausnahme: Ein Pferd ist ein äußerst aufmerksames Tier in der Natur, das seine Umgebung ständig im Blick haben muss. Das ist überlebenswichtig für ein potentielles Beutetier. Aber man degradiert es zu einem würdelosen Kriecher mit Blick auf den Boden mit unnatürlich eingeschränktem Sichtfeld. Das ist gewiss nicht artgerecht!

Räumen Sie Ihrem Pferd ein Mitspracherecht ein und fördern Sie es da, wo es sein Talent anbietet, anstatt es zu einer Disziplin zu zwingen, für die es konstitutionsmäßig oder mental nicht geeignet ist. Wie jeder Mensch hat auch jedes Pferd irgendwo seine besonderen Begabungen, die es zu entdecken gilt. Genormte Turniervorschriften kommen dem nicht entgegen.  Ob mein Pferd lieber auf der linken oder rechten Seite des Weges gehen will, ist nicht wichtig, Hauptsache wir kommen von A nach B. Vielleicht läuft es lieber auf dem Grasbankett als auf dem Schotter in der Mitte. Und wenn es grundsätzlich durch Wasser geht, warum kann ich es nicht selbstbestimmt um die Pfützen herum oder mitten durch gehen lassen? Meine Pferde verstehen auch sehr gut, dass ich heute bei einem gebisslosen Bummelritt das gelegentliche Naschen erlaube, morgen mit Trense aber nicht. (Ich sehe als Pferdemenschin die Welt ja selbst schon mit Pferdeaugen, als wenn mir selbst das Wasser im Mund zusammenliefe, wenn ich saftiges Gras sehe, das meine Pferde gerne mögen und kann sie ja deshalb auch so gut verstehen, wenn da ein besonderes Kräutlein in Maulhöhe verführerisch glänzt, was auf der Koppel nicht zu haben ist.)

Vieles was man öffentlich zu sehen bekommt, wird durch Gewöhnung nicht mehr hinterfragt. Man macht das eben so. Besonders gefährlich können da aber auch neue Modeströmungen sein, die Laien ohne Hintergrundwissen von erfahrenen Ausbildern übernehmen wie beispielsweise das sogenannte Flexen, das einigen Pferden gebrochene Unterkiefer beschert hat, weil Leute meinten, es ginge aus Zeitmangel auch, das Pferd mit verdrehtem Hals am Sattelgurt anzubinden. Kennen diese Menschen das Schmerzgesicht des Pferdes nicht?

Dabei sagte schon Xenophon: „Dein Pferd sei Dein zuverlässiger Freund, nicht Dein Sklave!“

Und jetzt wissen Sie, warum ich keine rechte Lust mehr habe, Zeitschriften über Pferde (außer dieser hier natürlich) zu lesen und mich lieber hinsetze und meinen Pferden beim Wälzen zuschaue.

Dr. Vera Biber, Tierärztin, Netphen

05.09.2017

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