Hier ist der Wurm drin!
Mein Pferd, mein Hund hat Würmer – wie ekelig! Meine Katze scheidet Bandwurmglieder aus – igittigitt! Die müssen ganz schnell weg! Alle vernichten! Vielleicht kennt der eine oder andere Leser diese Reaktionen von sich selbst. Vorweg: Warum empfinden wir Würmer als abstoßend? Was macht Würmer in den Augen vieler so widerlich – vielleicht sogar Furcht erregend?
Endoparasiten, das heißt im Innern des Wirtsorganismus lebende Parasiten, können ihren Wirt (z. B. Pferd, Hund, Katze, Mensch) schädigen: Gewebe zerstören, giftige Stoffwechselprodukte ausscheiden, dem Wirt Nährstoffe entziehen. Und – meist sieht man die Schmarotzer nicht! Dies löst Unbehagen aus, man fühlt sich ihnen ausgeliefert. Und dennoch hat sich die Natur bei dieser Art des Zusammenlebens von Parasit und Wirt nicht „Unsinn ausgedacht“. Vielmehr ermöglicht das Aufeinanderprallen von Wirt und Wurm die Stärkung der Abwehrkräfte des Wirtes.
„Was, Parasiten haben etwas Gutes?“, werden Sie fragen.
Schauen wir uns den Begriff „Parasit“ genauer an: Parasit und Schmarotzer sind gleichbedeutend. Diese Begriffe wurden ursprünglich für Menschen verwendet: Die Bezeichnung Smarotzer (= Bettler) stammt aus dem 15. Jahrhundert. Parasiten (griech. parasitikos = Mitesser/ Beiwohner) waren Vorkoster an adeligen Höfen. Sie probierten die Speisen vor dem eigentlichen Mahl mit dem Risiko einer möglichen Vergiftung. Dafür wurden sie verköstigt, ohne arbeiten zu müssen. Schnell entwickelten sich Neid und Eifersucht unter den Mitmenschen - der „Parasit“ war negativ belegt!
Erst seit ca. 200 Jahren existiert die biologische Bedeutung „Parasit“: Tiere und Pflanzen, die zum Zwecke der Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung auf (Ektoparasiten, z. B. Kopfläuse) oder in (Endoparasiten, z. B. Bandwürmer) einem tierischen oder pflanzlichen Organismus einer anderen Art leben. Sie beeinflussen die Lebensfunktionen ihres Wirtes negativ, ohne ihn unmittelbar zu töten. Der Parasit nutzt das Wirtstier aus. Er schmarotzt von dessen Nahrung und zudem findet er in ihm Schutz vor Feinden im „Außen“. Sein Wirt jedoch zieht keinen Gewinn. Folglich sieht die ganze Angelegenheit sehr einseitig aus – eben Schmarotzertum.
Aber: Klein hat Groß erfolgreich ausgetrickst! Das Räuber-Beute-Verhältnis gibt auf diesem Wege den Kleinen (Beute) die Chance zum Überleben: Sie beteiligen sich einfach an der Mahlzeit der Großen (Räuber).
Jeder Parasit hält seinen Wirt – in diesem Fall Pferd, Hund, Katze – „im eigenen Interesse“ am Leben, schädigt ihn aber unter Umständen mehr oder weniger stark – je nachdem, wie stark das Immunsystem des Wirtstieres ist. Was nun, wenn beide Parteien sich arrangierten? Wenn sich ein Gleichgewicht zwischen Parasit und Wirt einstellte – und das Pferd, der Hund oder die Katze einen Nutzen aus der Präsenz seiner (dann symbiontischen) Würmer zöge?
Gemeinsame Evolution
Seit vielen Jahrtausenden sind Mensch und Tier mit Würmern und Bakterien in Berührung gekommen, von ihnen infiziert worden: über schlammiges Trinkwasser und über die Nahrung. Dennoch wurde die Evolution der Wirtsorganismen nicht verhindert. Im Gegenteil, es wurden offensichtlich Mechanismen aktiviert, die das Immunsystem beider Seiten gestärkt und zu einer Ko-Evolution geführt haben. Um eine Vorstellung zu bekommen: Das Zehnfache aller Zellen, die einen Menschen (ein Pferd, einen Hund, eine Katze) ausmachen, besiedeln zusätzlich dessen Haut und Magen-Darm-Trakt. Die Gesamtheit dieser Mikroorganismen wird Mikrobiom genannt. Ein assoziiertes Organ, eine vielfältige Lebensgemeinschaft mit weitreichendem Einfluss auf die Gesundheit von Mensch und Tier. In Zahlen: Ca. eine Billiarde Zellen (1015, eine 1 mit 15 Nullen!), ungefähr 1,5 kg unserer Körpermasse, stellen die Gesamtheit der mit uns zusammenlebenden Mikroorganismen. Wir sind klar in der Unterzahl! Genauso bei Pferd, Hund und Katze.
„Es wurde oft darauf hingewiesen, dass es kein Zufall sein kann, dass der Geburtskanal so nahe am Anus liegt, wo das Baby sofort mit einem Schwall Bakterien begrüßt wird. Bei Delphinen ist es üblich, dass sie auf das Neugeborene koten. 90 % aller unserer Zellen sind tatsächlich Bakterienzellen“, so Prof. Graham Rook, britischer Immunologe, University College Medical School, London (http://scienceblogs.de/lob-der-krankheit/2008/05/22/wir-haben-wenig-alternativen/). Viren, Bakterien, Würmer und Immunsystem haben sich im Laufe der Entwicklungsgeschichte gegenseitig herausgefordert – und dadurch gestärkt.
Prof. Rook: „Würmer aktivieren Regulationsmechanismen, die Fehlreaktionen, wie sie bei Allergien und Autoimmunkrankheiten bestehen, beseitigen oder abschwächen …“
Die Endoparasiten zwingen das Immunsystem zur Gegenwehr, dieses wird daraufhin immer komplexer und „raffinierter“. Die Antwort der Parasiten: Sterben oder Ausweichen. Ausweichen bedeutet erfolgreiche Fortpflanzung der Parasiten. Das Immunsystem des Wirtsorganismus reagiert mit noch ausgefeilteren Abwehrstrategien, um die Würmer zu eliminieren: Ein ständiger Wettlauf, eben Ko-Evolution! In der Anfangsphase der Wurminfektion kämpft der Organismus gegen die Würmer an. Doch allzu langes Aufbegehren des Immunsystems richtet viel mehr Schaden an (z. B. Elephantiasis) als den Wurm Eier produzieren zu lassen. Und mit dem Parasiten Frieden zu schließen …
Diese physiologischen Zusammenhänge zwischen Wirt und Parasit werden von Prof. Rook „Old Friends-Hypothesis“ genannt. Nicht gegenseitige Vernichtung, sondern friedliche Koexistenz.
Im Humanbereich werden Würmer erfolgreich als Therapeutikum eingesetzt: Der Schweine-Peitschenwurm (bei Haus- und Wildschweinen auftretender Darmparasit, zu den Fadenwürmern gehörend) lindert Beschwerden und Symptome bei Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und MS – verbreiteten Autoimmunkrankheiten. Dies haben etliche Versuche bestätigt. „Die Würmer hatten ein Signal an das Immunsystem übermittelt, das massenhaft regulierende Lymphozyten aktivierte. Und damit wurde der autoaggressive Mechanismus, der zu MS führt, abgeschwächt“, erklärt Prof. Rook.
Wurmeier auf Rezept haben noch keine konkrete Zukunft, aber warten immerhin auf ihre Zulassung. Der weltweit größte Produktionsbetrieb für Biotherapie und Medizin (Ovamed), niedergelassen bei Hamburg, produziert Wurmeier.
Die Mikroorganismen und Würmer sind die Lehrmeister des Immunsystems! Das Immunsystem muss lernen, Freund von Feind zu unterscheiden. Dieser Lernprozess erfolgt in den frühesten Kindertagen, d. h. im Welpen- und Fohlenalter! Und dies ist von nachhaltiger Bedeutung für das weitere Leben der Tiere: Fehlt die Konfrontation mit den Erregern und Würmern, kann das Immunsystem nicht optimal heranreifen. Geschwächte Abwehrkräfte oder Fehlreaktionen des Immunsystems sind wahrscheinlich.
Sind Würmer dann gar keine Parasiten?
Massiver Wurmbefall beeinträchtigt bzw. gefährdet die Gesundheit des Tieres – das ist unstreitig. Hier handelt es sich um Parasitismus. Symptome sind beispielsweise: Stumpfes Fell, Abmagerung, Verdauungsstörungen, Kolik, geblähter Bauch, Juckreiz (an der Schweifrübe, am After), Leistungsschwäche. Aufgrund der Schädigung der Darmschleimhaut kann es zu Entzündungen oder Darmperforationen kommen. Bandwürmer z. B. heften sich fest an die Darmschleimhaut und können schlimmstenfalls Geschwüre bilden oder zu Darmverschlüssen führen. Als wahre Mitfresser entziehen sie Pferd, Hund und Katze wichtige Nährstoffe. Die Tiere werden geschwächt.
Fohlen und Welpen sind gefährdeter als erwachsene Tiere, da das Immunsystem der Jungtiere noch nicht ausgereift ist. Ältere Tiere sind im Verhältnis seltener von Würmern befallen, weil sie im Laufe der Zeit eine Immunität gegen Würmer entwickeln.
Gegen Ende der Trächtigkeit des Muttertieres werden aufgrund von Hormonveränderungen Wurmlarven im Gewebe der Mutterstute, der Hündin oder der trächtigen Katze aktiviert und noch in der pränatalen (vorgeburtlichen) Phase auf das Ungeborene übertragen. Da die aktivierten Larven u.a. in die Milchdrüsen einwandern, erfolgt die Aufnahme von Wurmlarven nach der Geburt auch über die Muttermilch.
Genau an diesem Punkt wird durch maßlose, unreflektierte Entwurmung die Chemiekeule geschwungen und versucht, alles totzuschlagen, was nur im Entferntesten „nach Parasit riecht“. Hier wird Abwehrkrieg geführt gegen das Immunsystem, statt es als Verbündeten zu erkennen!
Hat Mutter Natur wieder einmal „falsch gedacht“, um Tier und Mensch das Leben zu erschweren? Nein, im Gegenteil. Nach der „Old Friends“-Hypothese ist die Larvenübertragung sinnvoll: In der Phase direkt nach der Geburt der Fohlen und während der Stillzeit, in der das Immunsystem entscheidend geprägt und gestärkt wird, muss sich der junge Organismus mit den Fremdlingen auseinandersetzen, „gut“ und „böse“ unterscheiden lernen. Hervorragendes Training für das Immunsystem! Die Parasiten dienen quasi als Sparringspartner in einem Wettkampf mit geänderten Regeln: Vermeidung von Verletzungen, weder Sieg noch Niederlage – stattdessen Verbesserung der Fähigkeiten aller Wettkampfteilnehmer. Das ist kein Parasitismus!
Wenn das Immunsystem des Wirtstieres die Würmer als Feind erkennt und in Schach hält, handelt es sich um ein symbiontisches Zusammenleben von Wirt und Parasit. Die Endoparasiten trainieren die Abwehrkräfte des Pferdes, des Hundes, der Katze. Das ist der Nutzen, den die Tiere aus der Konfrontation mit den Darmparasiten ziehen! Das Ausmaß des Wurmbefalls von Pferd, Hund oder Katze ist relevant für die Unterscheidung „Parasitismus“ oder „Symbiose“. Sehr treffend und nonkonformistisch fragt Frau Prof. Krüger (Thaer-Institut, Universität Leipzig): „Wieviele Würmer braucht das Tier?“
Nach Meinung etlicher Vertreter der Veterinärmedizin sicherlich nicht einen einzigen. Das legen zumindest die Entwurmungsempfehlungen für Hunde, Katzen und Pferde nahe.
Entwurmungsempfehlungen
Hunde- und Katzenwelpen sollten ab der 2. Lebenswoche alle 2 Wochen bis mindestens 2 Wochen nach dem Absetzen (8. Lebenswoche) entwurmt werden. Bei säugenden Hündinnen und Katzen sollte gleichzeitig mit der Behandlung der Welpen eine Entwurmung erfolgen. Und trächtige Hündinnen sollten zum Ende der Trächtigkeit eine Wurmkur erhalten, um eine Infektion im Mutterleib zu verhindern. Für trächtige Katzen wird die Empfehlung nicht gegeben. Katzen sind als bekanntlich sehr sensible Lebewesen gegen die toxischen Nebenwirkungen anscheinend nicht gefeit …
Und dennoch liest man Empfehlungen wie diese: „Eine mehrtägige Behandlung mit Fenbendazol (Benzimidazol, Resistenz vieler Strongylidenarten gegen Benzimidazole, weiteres s. u., Anmerk. d. Verf.) wird von Hunden und Katzen sehr gut vertragen. Dies ist selbst bei mehrfacher Überdosierung sowie von schwerkranken, unterernährten oder trächtigen Tieren der Fall.“ (http://www.msd-tiergesundheit.de/News/Fokusthemen/Giardien_und_Wuermer/Entwurmungsempfehlung.aspx). Viele Tierhalter haben ganz andere Erfahrungen gemacht. Jeder bilde sich diesbezüglich sein eigenes Urteil.
Wo bleibt die Möglichkeit für den jungen Organismus, sein Immunsystem zu modellieren, zu stärken? Erwachsene Katzen und Hunde werden alle 3 Monate entwurmt. Sind Kleinkinder im Haushalt, wird sogar eine monatliche Entwurmung empfohlen, um Zoonosen (Infektionsübertragung von Tier zu Mensch oder Mensch zu Tier) zu vermeiden – 12 Wurmkuren pro Jahr! Diesen chemischen Großangriff werden wohl nur die wenigsten Katzen überleben. Oben genannte Empfehlung gilt bei Katzen nicht nur für Freigänger, sondern auch für Wohnungskatzen. Über Schuhsohlen oder Gartenerde könnten Eier eingeschleppt werden. Es lassen sich immer passende Argument finden. So weit sind wir also!
Man zähle selbst die Anzahl Wurmkuren (die Dosen an Gift), die ein junges, unentwickeltes Tier zu verkraften hat. Hier wird offensichtlich weit über das Ziel hinausgeschossen (Tierquälerei?).
Bei Pferden sehen Entwurmungspläne nicht wesentlich anders aus: Erwachsene Pferde prophylaktisch 4 Mal im Jahr, bei schlechter Hygiene oder Ställen mit häufigem Pferdewechsel 5 Mal im Jahr. Fohlen werden bei Befall mit dem Zwergfadenwurm (Strongylide) in der 2. Lebenswoche entwurmt, im weiteren Verlauf 14-tägig bis zur 8. Lebenswoche. Bei Spulwurmbefall (Ascariden) beginnt die Behandlung im Alter von 1,5 bis 2 Monaten und wird in eben diesen Intervallen bis zum Absetzen fortgeführt. Stuten sollten am Tag des Abfohlens eine Ivermectin-Wurmkur erhalten zwecks Reduktion der Larven in der Stutenmilch.
Diese Entwurmungsmaßnahmen lassen Angst und Unsicherheit durchblicken, unreflektiertes Handeln und mangelndes Vertrauen in die naturgegebenen Fähigkeiten des Körpers zur Selbstregulation. Geschwächte Abwehrkräfte führen erfahrungsgemäß zu stärkerem Wurmbefall, etwa bei kranken oder schwachen Tieren, Tieren in schlechter Haltung oder in kritischen Lebensphasen (Trennung von der Mutter). Konsequenterweise sollte das Immunsystem gestärkt werden. Der Darm muss saniert und aufgebaut werden! Stattdessen geschieht das Gegenteil – häufigere Entwurmungen, höhere Dosen. Die Darmflora des Tieres wird mit jeder chemischen Wurmkur genauso wie mit einem Antibiotikum zerstört! Die Lebensgemeinschaft der Mikroorganismen muss anschließend regeneriert werden. Wer weiß das, macht sich diese Mühe und handelt danach? Die wenigsten Tierärzte klären hier auf … Wahrscheinlich wissen sie es nicht, haben sich über das Thema Koevolution keine Gedanken gemacht.
Ein instabiler Darm schwächt das Abwehrsystem. Allergien und Autoimmunerkrankungen werden unter Umständen Tür und Tor geöffnet. Von kerniger Gesundheit der Pferde, Hunde und Katzen ist heutzutage ja keine Rede mehr. Die Zahl kränkelnder Tiere hat enorm zugenommen – in Relation zum intensiven Einsatz von Impfungen, Antibiotika, Antimycotica, Anthelminthika (Wurmmittel) und nicht artgerechten Futtermitteln.
Mittlerweile werden viele Tierhalterinnen vorsichtiger in Bezug auf Wurmkurgaben – auch die Besorgnis wegen Resistenzen wächst. Es wird geraten, jährlich das Wurmmittel zu wechseln, oder von Gabe zu Gabe. Darin spiegelt sich die ganze Hilflosigkeit wider.
Resistenzen
Der häufige Einsatz von Wurmmedikamenten ist Ursache für das Auftreten von Resistenzen, ebenso der oftmals wahllose Einsatz der Entwurmungsmittel. Auch die nicht korrekt dem Körpergewicht angepasste Dosierung des Anthelminthikums führt zu Resistenzen (Unterdosierung durch falsche Gewichtsschätzung). Ende der 1980er Jahre wurden Empfehlungen ausgesprochen, so wenig wie möglich mit Wurmmedikamenten zu behandeln – um die Resistenzentwicklung zu bremsen.
Bereits vor 50 Jahren (!) war die Resistenz von Würmern gegenüber Thiabendazol bekannt. Seitdem besteht eine weltweit verbreitete Resistenzentwicklung gegenüber Benzimidazolen, die ursprünglich gegen kleine Strongyliden (Blutwürmer) wirkten. Diese Resistenz gilt für mindestens 13 Arten der kleinen Strongyliden. Schon Ende der 1980er Jahre wurden Mehrfachresistenzen der kleinen Strongyliden vermutet, z. B. gegen Pyrantel (Wirkstoff in Banminth). Vor 20 Jahren hatte man bereits Kenntnis von Ivermectin-resistenten Strongyliden bei kleinen Wiederkäuern (Schafe, Ziegen) mit der Befürchtung der Resistenzentwicklung auch bei Pferden! „Das Moxidectin, das … zunächst noch erfolgreich gegen die Ivermectin-resistenten Stämme der Schafnematoden eingesetzt wurde, verliert jedoch durch Entwicklung von Seitenresistenzen dort immer mehr seine Wirksamkeit…“ ( http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000000508/0_schumann.pdf?hosts ). Moxidectin (ein Milbemycin) gehört mit Avermectinen (z. B. Ivermectin) zur Gruppe der makrozyklischen Laktone. Moxidectin und Ivermectin weisen sehr enge biochemische Verwandtschaft mit gleichen biologischen Eigenschaften auf.
10 bis 15 Jahre später: Auch bei Pferden wird von Resistenzen der Spulwürmer gegen Ivermectin berichtet. Dem Voranschreiten der Resistenzentwicklungen kann man offenbar zusehen …
Gängige Entwurmungsmittel sind z. B. Panacur (Fenbendazol-, also Benzimidazol-haltig), Banminth (Pyrantel-haltig), Equimax (Ivermectin-haltig), Equest (Moxidectin-haltig). Hinsichtlich der Resistenzentwicklung ist offensichtlich nichts gelernt worden. Im Gegenteil – man weiß um die Resistenzen und verabreicht die Mittel weiterhin. Da werden dann eben die Dosis erhöht und die Frequenz verkürzt. Beispiel Equest, Kombipräparat Praziquantel mit Moxidectin: Vor ca. 20 Jahren lag die Empfehlung von Praziquantel (Mittel gegen Bandwürmer) bei 0,5 bis 1 mg/kg Körpergewicht. Heutige Präparate enthalten Konzentrationen von 2,5 mg/kg Körpergewicht, mal eben das 2,5 bis 5-fache!
Die Wirkung sinkt, die Nebenwirkungen steigen mit der Menge und der Häufigkeit des Einsatzes.
Toxizität der Anthelminthika
Die "Nebenwirkungen" können sein: Durchfall, vermehrter Speichelfluss, erschwerte Atmung, Ataxie, Tod.
Beispiel Avermectine: Ihre Wirkungsweise gegen Fadenwürmer beruht auf der Aktivierung von GABA (Gamma-Amino-Buttersäure). Dieser Neurotransmitter spielt eine zentrale Rolle als Rezeptor im ZNS (Zentralnervensystem) der Säugetiere und ist u. a. an der motorischen Kontrolle des Kleinhirns beteiligt. Bei Nematoden (Fadenwürmern) findet sich GABA in neuronalen und neuromuskulären Synapsen (Ort der Erregungsübertragung von Nervenzellen auf andere Zellen). GABA leitet die irreversible Öffnung der Chlorid-Kanäle in den Muskelmembranen ein: Die Weiterleitung von Nervenreizen ist unterbrochen, der Wurm wird gelähmt, getötet und durch das Wirtstier ausgetrieben.
Toxisch wirken Avermectine auf den entwurmten Wirt, wenn sie die Blut-Hirn-Schranke überwinden und sich möglicherweise im ZNS anreichern. Hierzu finden sich in der Literatur widersprüchliche Aussagen:
- „Zudem ist die intakte Blut-Hirn-Schranke bei Vertebraten (Wirbeltieren, Anmerk. d. Verf.) kaum permeabel für Avermectine, es kommt aber trotzdem auch an Neuronen des Gehirns von Säugetieren zu einer Verstärkung GABA-erger Prozesse…“, so eine Dissertation der Universität München aus dem Jahre 2011(http://edoc.ub.uni-muenchen.de/13502/1/Schnerr_Cornelia_U.pdf).
- „Da GABA auch im Gehirn von Säugern vorkommt, wird die Bindung an GABA-Rezeptoren auch als Ursache für die toxischen Wirkungen der Avermectine angesehen…“ (http://borna-borreliose-herpes.de/allgemein/wurmkurenwirkstoffe.htm).
- „Avermectine sind lipophile (Fett liebende) Verbindungen, deshalb „können Avermectine durch die Membranen jeder intakten Blut-Hirn-Schranke diffundieren.“ (http://www.vetpharm.uzh.ch/reloader.htm?clinitox/toxdb/SWN_022.htm?clinitox/swn/toxiswn.htm) - Zellmembranen bestehen großteils aus Fettmolekülen!
Exkurs: MDR1-Gendefekt
Die Argumentation mit dem MDR1-Gendefekt als Ursache der Medikamentenüberempfindlichkeit bei Hunden und Katzen ist mehr als dünn:Dieser angebliche Gendefekt ist weit verbreitet – bei vielen Hunde- und Katzenrassen! Z. B. beim Collie, Australian Shepherd, English Shepherd, Longhaired Whippet, Silken Windhound, Weißen Schäferhund, Deutschen Schäferhund, Bobtail, Border Collie, Shetland Sheepdog, MacNab. Ist halt Pech für die betroffenen Tiere – und für deren Halter. Denn dafür kann ja schließlich keiner was, als aufgeklärter Tierbesitzer macht man einen entsprechenden molekulargenetischen Test – angeboten von der Uni Gießen.
Die Überempfindlichkeit beruht darauf, dass bestimmte Arzneistoffe (u. a. Avermectine, Moxidectine) die Blut-Hirn-Schranke überwinden, in das ZNS gelangen, der Rücktransport jedoch nicht funktioniert. Die Folgen sind schwere Vergiftungen oder der Tod des Tieres.
Versuche an Mäusen haben nachgewiesen, dass bei gesunden Tieren Avermectine aus dem ZNS zurückgeführt werden, so dass „… dort nie ein nennenswerter Wirkspiegel entsteht“ (http://www.vetpharm.uzh.ch/reloader.htm?clinitox/toxdb/SWN_022.htm?clinitox/swn/toxiswn.htm). Na denn …
Und wenn der Gen-Test positiv ausfällt? Brauchen betroffene Hunde und Katzen nun nicht entwurmt zu werden? Geht’s noch? Wie viel Fachkenntnisse müssen sich Tierhalter aneignen, um entscheiden zu können, welches Entwurmungsmittel speziell ihr Tier nicht gleich umbringen wird?
Diese Tiere hatten diese Genkonstellation vermutlich seit ewigen Zeiten – nur kamen sie nie mit dem Gift der Anthelminthika bzw. den Medikamenten in Berührung. So etwas hatte die Natur ja nicht vorgesehen. Statt verantwortungsvoll mit Entwurmungsmitteln umzugehen, wird sich – insbesondere seitens der Veterinärmedizin – jeglicher Verantwortung entzogen. Und stattdessen auf den Gentest verwiesen …
Mehr zum Thema: Das Problem MDR1 und die erlaubte Vergiftung der Hunde
Ivermectine und Milbemycine weisen von allen Wurmkuren das stärkste Nervengift auf! Eine „normale“ Dosierung hatte für empfindliche Hunde und Katzen schon tödliche Folgen. Dies sollte Tierärzten doch bekannt sein!
Der Hund gerät nicht nur über Wurmkuren mit den entsprechenden Giften in Kontakt. Ein Spaziergang kann für ihn tödlich ausgehen – wenn er an Pferdeäpfeln von entwurmten Pferden nascht oder Rinder- bzw. Schafskot frisst. Die Wurmmittel sind bis zu 40 Tagen (Ivermectin) bzw. bis zu 75 Tagen (Moxidectin) im abgegebenen Kot nachweisbar!
Die übereifrige Entwurmung unserer Pferde führt zu ökologischen und landwirtschaftlichen Problemen: Avermectine werden zu mehr als 98% mit dem Kot ausgeschieden. Sie wirken wie Insektizide, bis zu 90% aller sich im Mist tummelnden Insekten werden getötet. Ivermectine hemmen z. B. die Entwicklung von Dungkäferlarven, die normalerweise die Zersetzung der Pferdeäpfel besorgen. Beachtliche Anteile der Weideflächen gehen durch Ausweitung von Geilstellen verloren – Stellen, an denen der Dungabbau nun verzögert ist.
Gänzlich unbekannt kann den Produzenten, Tierärzten und Behörden die Toxizität der Entwurmungsmittel nicht sein: Das Ausbringen entsprechend belasteten Pferdekots bzw. der direkte Eintrag durch das Pferd ist in Wasserschutzgebieten gesetzlich verboten! Avermectine und Moxidectine vergiften Fische und im Wasser lebende Organismen. Sorgt man sich vielleicht auch um die Grundwasserqualität?
Alternative Entwurmungsmöglichkeiten
Wie konnten Wildpferde über Jahrtausende ein Gleichgewicht mit „ihren“ Würmern herstellen? Die Wildpferde bekamen jedenfalls keine vierteljährliche Wurmkur. Auch die Dülmener Pferde nicht!
Exkurs: Selektive Entwurmung
Statt prophylaktischer Wurmkuren gezielte, regelmäßige Kotprobenuntersuchungen: Auf diese Weise kann der Resistenzdruck deutlich reduziert werden. Erst bei EpG-Werten (Eier pro Gramm Kot) von ca. 200 -250 wird von stärkerer Wurmbelastung des Tieres ausgegangen. In der Literatur sind allerdings auch Grenzwerte bis 300 EpG angegeben. „Der EpG sollte so hoch liegen, dass bei diesem Wert die Infektion noch zur Ausbildung einer Immunität führt, aber so gering, dass das Risiko einer Erkrankung und die Umgebungskontamination gering gehalten werden (Uhlinger, 1993).“
Also – sich nicht an ein paar Eiern festklammern, sondern Gelassenheit üben und nicht auf pauschale Diagnosen ohne Auszählen der Eier reagieren.
In den Ländern Dänemark, Schweden, Finnland, Holland und Italien ist der prophylaktische Einsatz von Entwurmungsmitteln verboten. Hier gilt die Verpflichtung, vor jeder chemischen Wurmkur den Nachweis zu erbringen, dass Wurmbefall vorliegt.
Die Natur bietet vielfältige Möglichkeiten, Würmer im Darm in die Flucht zu schlagen.
Bis vor wenigen Jahrzehnten entwurmte man Pferde, Hunde und Katzen auf „natürliche“ Weise. Chemische Entwurmungsmittel gab es nicht. Hunden und Katzen fütterte man Fellstücke. Denn alles, was kratzt, mögen Würmer nicht (Haare, Hagebuttenkerne, Kokosraspel, Kürbiskerne, Walnussblätter). An Pferde verfütterte man Pflanzen mit wurmtreibender Wirkung, z. B. Meerrettich oder Rainfarn. Auch 2%-ige Propolis (Bienen-Kittharz)-Suspension über mehrere Tage verabreicht soll erfolgreich gegen Würmer wirken.
Voraussetzung für ein dauerhaft wurmabschreckendes Darmmilieu ist die Stabilisierung der Darmschleimhaut, z. B. durch Zufüttern von Kräutern, insbesondere Bitterkräutern. Das stärkt die Abwehrkräfte der Pferde, Hunde und Katzen – Endoparasiten fühlen sich unwohl in dieser Umgebung und wandern ab. Die heutzutage einseitige Fütterung erfordert die Ergänzung mit Kräutern.
Bei Weidetieren ist die biologische Wurmkontrolle mit sogenannten nematophagen Pilzen (fleischfressenden, auf Fadenwürmer spezialisierten Pilzen) möglich. Der Nachweis einer „breiten Wirksamkeit auf viele Strongyliden-Arten verschiedener Weidetierspezies“ ist gelungen (http://orgprints.org/2732/1/hertzberg-2003-bio-helminthenkontrolle.pdf). Bis zur endgültigen „Marktreife“ dieses Produktes besteht noch weiterer Forschungsbedarf.
Man sieht: Strategien zur sinnvollen Wurmbekämpfung gibt es, verlässliche und praktikable. Man muss nur wollen…
Dr. Frauke Garbers, Biologin
23.05.2017