Freilebende Koniks Teil 1
Koniks - ideale Pferde für den Naturschutz
Teil 1 der neuen artgerecht-Reihe
Landschaftsschutz
Polnische Koniks sind kleine, wildfarbene – d. h. mausfalbe – Pferde mit Aalstrich und Streifenmuster vor allem an den Beinen. Die meisten Menschen kennen diese Tiere nur aus Naturschutzgebieten, in denen ihre Aufgabe darin besteht, die Pflanzen zu fressen und eine Verbuschung und Waldbildung zu verhindern. Seit 1936 sind die freilebenden Koniks Gegenstand der Forschung. Die Pferde halten die Landschaft offen, wenn sie speziell im Winterhalbjahr mit zunehmendem Hunger Gehölze verbeißen.
Foto: Konik-Reservat in Popielno, Polen: Weidengestrüpp in einem Graben zwischen den alten Wiesen, durch Verbiß geformt. Erst oberhalb der Mäuler kann die Weide austreiben.
Da eine gewisse Gehölzstruktur erwünscht ist, bezeichnet man verbuschte Graslandschaften heute als „Halboffene Weidelandschaften” – was einer traditionellen Weide-Kulturlandschaft entspricht.
Foto: Naturschutzgebiet Schäferhaus bei Flensburg: Fraßsavanne mit Dorngebüsch (Weißdorn) und Schirmbäumen (Eichen) gepflegt durch Koniks und Galloway.
Berühmt sind die Landschaftsgemälde des Künstlers Caspar David Friedrich (1774 bis 1840), die uns genau solche Landschaften zeigen (z. B. „Landschaft mit Regenbogen“).
Tatsächlich sind heute viele Fachleute der Meinung, dass es sich bei dieser uralten, vor allem durch Beweidung mit frei laufenden oder gehüteten Viehherden entstandenen Kulturlandschaft um sehr naturnahe Verhältnisse handelt. Wir leben im Erdzeitalter des Quartär und wissen heute, dass zu allen Warm- und Kaltzeiten (Eiszeiten) des Quartär riesige Herden durch Europa streiften. Zu ihnen gehörten immer Rüsseltiere (Wollhaarmammut, Steppenmammut , europäischer Waldelefant) und Nashörner (Wollnashorn, Steppennashorn, Waldnashorn, Sibirisches Einhorn), also riesige Pflanzenfresser, die man auch als Megaherbivoren (mega: riesig; herbivor: Pflanzen fressend) bezeichnet.
Diese Tiere wurden zum Teil vom Neandertaler mit Speeren gejagt und lebten ansonsten in Koexistenz mit ihm — so, wie die Ureinwohner in Afrika, der Wiege der Menschheit, von und mit den Tieren und Pflanzen Afrikas leb(t)en. Erst zu der Zeit, als der moderne Mensch am Ende der letzten Eiszeit vor etwa vierzigtausend Jahren Europa erreichte, starben auffällig viele dieser Riesen hier nach und nach aus. Wir hatten also in Europa eine Tierwelt ganz ähnlich der des heutigen Afrikas.
Foto: Diese lebensgroße, über vier Meter hohe Holzsilhouette eines europäischen Waldelefanten empfängt die Besucher im Naturschutzgebiet Schäferhaus. Erst am Ende der letzten Eiszeit starb dieser größte Elefant, der jemals die Erde besiedelt hat, aus. In einer Kiesgrube in direkter Nachbarschaft zu Schäferhaus an der dänischen Grenze wurde der Stoßzahn eines europäischen Waldelefanten gefunden.
Manche Elefanten- und Nashornarten halten jedoch die Landschaft offen, indem sie in ganz erheblichem Maße Gehölze fressen und Wälder auflichten. Grasfresser wie Rinder und Pferde bzw. Gnus und Zebras drängen in den gelichteten Wald nach und finden Futter auf den Lichtungen. Statt eines dichten Urwaldes entsteht eine mosaikartige Fraßsavanne aus kurzen und langen Gräsern, aus vielerlei Kräutern und dornigen Büschen, überdacht gelegentlich von knorrigen Schirmbäumen als europäischem „Wald“. Eine Fraßsavanne ist also so etwas wie ein lichtdurchfluteter natürlicher Hutewald.
Foto: Ständiger Verbiss aller Vegetation durch große Pflanzenfresser schafft weiche Übergänge zwischen den Strukturen. Hier zu sehen der fließende Übergang von Wald über Heckenstrukturen zum offenen Grasland, geschaffen von Koniks und Galloway im Naturschutzgebiet Schäferhaus. Der durch den Verbiss verdichtete, gekürzte Wuchs der Pflanzen, speziell der Gebüsche, ist Voraussetzung für eine extrem hohe Artenvielfalt mit brütenden Vögeln, Insekten und Spinnen.
Foto: Dorngebüsch (Wilde Heckenrosen) in der europäischen Savanne, hier in der Halboffenen Weidelandschaft Schäferhaus, mit seinem Landschaftspfleger, einem Galloway. Das durch den Fraß geschaffene Mosaik ist Voraussetzung für eine hohe Artenvielfalt.
Foto: Lichtdurchfluteter Bruchwald mit Tümpel, beweidet und durchzogen von den Wildwechseln der Galloway im Naturschutzgebiet Schäferhaus. Handelt es sich dabei nun um eine Viehweide? Oder um einen Wald? Oder um Sumpf mit Gewässer? Weder noch und sowohl als auch stellt diese naturnahe Mosaikbildung mit extrem hoher Artenvielfalt dar.
Ein reich gedeckter Tisch mit „Grundfutter“ und „Zusatzfutter“ jeder Form, der alle Ansprüche an eine ausgewogene, artenreiche Ernährung und die Versorgung mit Arzneipflanzen bedient!
Fotos: Artenreiches Grasland im Naturschutzgebiet Schäferhaus, gepflegt durch Beweidung mit Koniks bzw. Galloway.
In die empfindlichsten Bereiche dürfen nur die Rinder mit ihrem schonenderen Fressverhalten.
Die an Glockenblumen reichen Rotschwingel-Straußgrasrasen waren noch in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts typische Rinderweiden auf den sandigen Ostseeinseln Dänemarks, dort damals beweidet von Jersang-Rindern (Jersey x Altes Angler Rind).
Megaherbivoren
Laut der „Megaherbivoren-Theorie“ (siehe auch http://www.abu-naturschutz.de/downloads/finish/8-diverse-veroeffentlichungen/105-quaternary-park-ueberlegungen-zu-wald-mensch-und-megafauna.html ) war Europa in weiten Teilen eine durch Fraß geschaffene Savanne, unterbrochen durch dicht bewaldete Bereiche, wo die größten Pflanzenfresser nicht fressen konnten – wie morastigen Flußauen und Steilhängen, aber auch weiten Sümpfen und Mooren.
Fotos: Die Halboffene Weidelandschaft Naturschutzgebiet Schäferhaus ist eine durch Frass offen gehaltene europäische Savanne.
Neben den riesigen Herden Gras fressender Rinder und Pferde, Blätter, Zweige und Knospen fressender (Riesen-)Hirsche (sogenannte „Konzentratselektierer“) und den verschiedenen Nashörnern und Rüsseltieren hat man anhand von Knochen- und Zahnfunden auch eine Vielfalt an Beutegreifern ähnlich der Afrikas mit Löwen, Bären, Säbelzahnkatzen oder Hyänen nachgewiesen.
Fotos: Auerochsen-Rückzüchtung (sogenannte Heck-Rinder) im Naturschutzgebiet Eidertal bei Flintbeck.
Foto: Koniks im Naturschutzgebiet Schäferhaus.
Falls diese Theorie zutrifft, ist die nach der letzten Eiszeit einsetzende Bewaldung weiter Teile Europas die Folge des Aussterbens der Megaherbivoren, vermutlich verursacht durch den Menschen. Und dann ist die künstliche, per Gesetz verordnete Trennung von Wald und Weide vor etwa 200 Jahren zwar geeignet, die zunehmende Überweidung und Vernichtung der Wälder durch Vieh zu stoppen – schafft aber keineswegs „natürliche“ Waldlandschaften, denn in der Natur würden die Tiere im Wald leben und ihn gestalten.
Foto: Junge Eichen im Naturschutzgebiet werden durch Verbiss zur Hecke geformt. Erst bei Erreichen einer Höhe oberhalb der hungrigen Mäuler kann aus dem Eichen-Gebüsch ein Eichen-Schirmbaum emporwachsen.
Diese Überlegungen der Megaherbivoren-Theorie sind Grundlage vieler moderner Naturschutzprojekte, die auf Beweidung durch „wilde“ Pferde und Rinder setzen und in denen Koniks eine neue Heimat gefunden haben. Im Erhalt seltener Pflanzen und Tiere sind diese Beweidungsprojekte sehr erfolgreich.
Fotos: Die vom Aussterben bedrohte Pflanzenwelt des Naturschutzgebietes Bültsee bei Eckernförde war durch Schilf und Bruchwald-Bildung gefährdet. Zu ihrer Rettung wurden vierbeinige Landschaftspfleger eingesetzt: Hier zu sehen ein erfolgreicher Mitarbeiter im Wellnessbereich. Das Schilf ist beseitigt, das Weidengestrüpp durch Befressen und Scheuern fast vernichtet, und zudem wurden durch Sandbäder offene Flächen für Sandwespen und andere seltene Lebewesen geschaffen.
Wo also lebten die wilden Vorfahren unserer Hauspferde ursprünglich? Wie lebten sie? Und was fraßen sie dort? Diese Fragen können die Ergebnisse der Forschungen an polnischen Koniks teilweise beantworten.
Dr. rer. nat. Renate Vanselow, Diplom-Biologin
Lesen Sie alle Teile dieser Reihe über freilebende Koniks:
04.09.2017