Der Magen-Darm-Trakt Teil 2

Die Magen-Darm-Mikrobiota

Allgemeines

Die Magen-Darm-Mikrobiota (MDM) umfasst echte Bakterien, Archaeen (sogenannte Urbakterien, die sich genetisch, physiologisch, biochemisch von den echten Bakterien abgrenzen), Protozoen, Pilze und Viren. Die größte Konzentration der Bakterien befindet sich im Lumen (Innenraum des Darms). Die MDM bildet die fünfte, aber erworbene Barriere des Magen-Darm-Traktes (MDT). Sie findet sich auch im Mukus (Schleimschicht über den Epithelzellen), in den Krypten (Ausstülpungen) und vereinzelt auf der Epitheloberfläche. Fasst man alle Mikroorganismen zusammen, die in und auf einem Menschen oder Tier vorkommen, sind das 10mal mehr Mikroorganismen als Körperzellen, und das mikrobielle Genom ist 100fach größer als das des Wirtes. Mehr und mehr stellt sich heraus, dass die MDM einen wesentlichen Einfluss auf Gesundheit und Krankheit des Wirtes besitzt.

Dickdarmschleimhaut eines gesunden Menschen mit dicker Mukusschicht (blauer Kreis).

Dickdarmschleimhaut Maus

Mauskolon (Dickdarm) von monoassoziierten Mäusen (Enterobacter Cloacae). Bakterien sind exakt von Epithel über Mukusschicht getrennt.

Dickdarmschleimhaut

Dickdarmschleimhaut bei Patienten mit Dickdarmgeschwür - kaum Mukusschicht.

Bereits Paracelsus bemerkte: „Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel, und eure Heilmittel sollen eure Nahrungsmittel sein.“ Verkürzt heißt das: Du bist, was Du isst. Dieser letzte kurze Satz sagt eigentlich alles. Unsere Nahrungsmittel, bei Tieren Futtermittel, sind Lebensmittel, also Mittel zum Leben. Sofern sie vollwertig sind, helfen sie, ein gesundes Leben zu führen. Vollwertig heißt nicht nur, dass Proteine, Kohlenhydrate und Fette als Energieträger vorhanden sind. Es müssen auch all die Komponenten enthalten sein, die für die Funktion von Enzymen, Hormonen, Proteinen, Fetten etc.  sowie der MDM im MDT notwendig sind. Das gilt besonders für solche, die Menschen und Tiere nicht selbständig  produzieren können, Vitamine, bestimmte Aminosäuren und Mengen- und Spurenelemente.

Dazu gehören aber auch die sekundären Pflanzeninhaltsstoffe, die antibakteriell (ätherische Öle), antioxidativ (Flavonoide), entzündungshemmend und krebsvorbeugend (Polyphenole) wirken. Besonders Flavonoide (ca. 8.000 Verbindungen sind bekannt), auch zur großen Gruppe der Polyphenole gehörend,  sowie die Polyphenole entstehen in Pflanzen über den Shikimisäure-Stoffwechselweg, der zu den aromatischen Aminosäuren Tryptophan, Phenylalanin und Tyrosin führt). Der gleiche Weg kommt aber auch in Bakterien, Pilzen, Algen und Protozoen vor.

Seine Störung bei Pflanzen und einigen Mikroorganismen (z. B. durch die Verwendung von Glyphosat-haltigen Herbiziden, Beispiel Roundup®), die in der Umwelt, aber auch in und auf Oberflächen von Menschen und Tieren vorkommen, hat fatale Folgen. Es werden Mangelzustände (Vitamine, aromatische Aminosäuren) induziert, die falschen Mikroorganismen werden gefördert, Sauerstoffradikale nicht mehr reduziert, entartete Zellen nicht gehemmt, Entzündungskaskaden nicht mehr unterbrochen etc. Immer steht Krankheit am Ende.

Besiedlung des Magen-Darm-Trakts

Jedes Lebewesen wird steril geboren – die Gebärmutter oder das Ei ist steril. Noch unter der Geburt oder Schlupf erfolgt die Besiedlung, bei Säugetieren über den Geburtsweg der Mutter, bei Vögeln über die Eischale, die mit den mütterlichen Keimen und solchen aus der Umwelt besiedelt ist. Auf dem Weg aus dem Uterus in die Welt besiedelt sich das Neugeborene also mit den Mikroorganismen der Geburtswege. Das sind vor allem Milchsäurebildner, z. B. Laktobazillen, Enterokokken, Bifidobakterien. Aus der unmittelbaren Umwelt der Mutter (Haut der Zitzen, Haut der Mutter, Umgebung der Mutter) erfolgt dann die weitere Besiedelung des MDT des Neugeborenen. Mit der Kolostralmilch und der reifen Milch werden ebenfalls Keime an das Jungtier übergeben. Das sind vor allem die Besiedler der milchabführenden Wege. Ein großer Teil der Keime, die das Jungtier besiedeln, entstammt dem MDT der Mutter.

Es gibt eine sogenannte enteromammäre Achse, das heißt, gegen die gesundheitlich relevanten Keime im MDT besitzt das Muttertier auch Antikörper und bereits spezifisch stimulierte Lymphozyten. Diese werden entweder bereits intrauterin (also in der Gebärmutter, Beispiel Menschen, Affen) oder in den ersten 36 Stunden nach der Geburt (bei den meisten landwirtschaftlichen Nutztieren – Rind, Schaf, Ziege, Schwein, Pferd) mit der Kolostralmilch dem Jungtier übergeben.
In dieser Zeit ist der Darm noch durchlässig und kann sowohl die Antikörper als auch die Lymphozyten aufnehmen und in die Blutbahn abgeben. Doch Vorsicht, die Lymphozytenabsorption ist nur mit der Kolostralmilch der eigenen Mutter möglich. Mischkolostrum, wie es häufig bei Kälbern appliziert wird, ist hier nicht effektiv. Durch diese spezifischen immunologischen Faktoren werden die aufgenommenen Mikroorganismen und ihre Produkte in der Wirkung auf das Neugeborene begrenzt.

Das Ergebnis der Besiedelung des MDT nach der Geburt hängt also einerseits von den Keimen ab, die bei der Geburt vorhanden sind (wenn Jungtiere und Babys mit Kaiserschnitt entwickelt werden, ist das oft nicht die Mikrobiota der Mutter, es könnte die der Oberschwester oder des Tierhalters sein, und die passt nicht), andererseits vom genetischen Background des Neugeborenen.

Jeder Mikroorganismus benötigt einen oder mehrere Rezeptoren. Sind sie vorhanden, kann besiedelt werden. So entwickelt sich eine individuelle Mikrobiota, die auch nicht getauscht werden kann.

Grundsätzlich besitzt eine bestimmte Tierart eine ganz bestimmt Zusammensetzung der Mikrobiota. Die vorkommenden Gattungen, Arten in der Mikrobiota stimmen bei den jeweiligen Tierarten überein, jedoch nicht die individuellen Stämme einer jeden Mikrobiotaart. 

Ist die Mikrobiota kurz nach der Geburt der mütterlichen Mikrobiota noch sehr ähnlich, verliert sich dies in den ersten 3-4 Lebenswochen. Beim Fehlen bestimmter gesundheitsfördernder Mikroorganismen (Laktobazillen, Bifidobakterien, Enterokokken) oder beim Überwiegen pathogener Keime (pathogene E. coli-Serovare, Proteus, Pseudomonas aeruginosa, Clostridium perfringens, Clostridium sordellii, Clostridium botulinum) durch Antibiosen, Schwermetalle, bestimmte Mykotoxine, antimikrobiell wirksame Herbizide wie Glyphosat (dem Wirkstoff Glyphosat-basierter Herbizide, Beispiel Roundup) kann diese lebenswichtige Besiedlung bereits gestört sein. Das Jungtier oder  der Säugling wird ein Leben lang darunter zu leiden haben.

Zusammensetzung der MDT-Mikrobiota

Die autochthone (indigene, typische) Mikrobiota einer Tierart besteht aus Kommensalen (leben von den Abfällen des Wirtes) und fakultativ pathogenen Mikroorganismen (fakultativ pathogen: unter bestimmten Umständen krankmachend). Sie müssen bestimmte Anforderungen erfüllen: Ihre Enzymausstattung muss zur Nahrung des Wirtes passen, die Zelloberfläche muss zum Anheften an die jeweiligen Habitate und zum Entweichen vor Bacteriophagen (Viren, die Bakterien zerstören können und sehr spezifisch für die jeweiligen Bakterien sind) geeignet sein, sie müssen auch das immer abwehrbereite Immunsystem befrieden, um nicht selbst vernichtet zu werden, sie müssen über eine hohe Mutabilität (Veränderlichkeit) verfügen, ihr Wachstum muss sehr schnell sein, damit sie nicht durch die MDT-Motorik hinausbefördert werden können, und sie müssen eine hohe Stressresistenz besitzen.


Die Biodiversität der MDM ist das Ergebnis einer Koevolution von Wirt und Mikroorganismen. Sie

  • baut die Nährstoffe ab und macht sie dem Wirt verfügbar (Aminosäuren, kurzkettige Fettsäuren, Milchsäure etc.)
  • produziert zahlreiche Vitamine und
  • detoxifiziert, macht also Giftstoffe unschädlich (Bakteriengifte, Mykotoxine, Organophosphate, etc.)

Scherbel und Mitarbeiter (2006) konnten z. B. nachweisen, dass Prionenproteine (Ursache für Scrapie beim Schaf und bovine spongiforme Encephalopathie, BSE) durch die komplexe Pansen- und Kolonmikrobiota degradiert (Degradation: Auflösung, Zerstörung) werden konnten. Interessanterweise waren das vor allem die Gram-positiven Bakterien wie Bazillen und Streptomyceten.

Die Autoren betonen, dass eine Microbiotaschädigung durch Antibiotika zu einer Beeinträchtigung dieses Abbaus führt. Nach den Untersuchungen von Shehata et al. (2012) werden Bazillen durch relativ geringe Konzentrationen des Herbizids Glyphosat (Wirkstoff von Roundup®) degradiert. Somit kann das BSE-Prion nicht von der Mikrobiota des Rinder-MDT degradiert werden. 

Die mikrobielle Barriere


Die MDM bildet die sogenannte mikrobielle Barriere, die allein durch das Besetzen von Rezeptoren, durch Nahrungskonkurrenz, auf der Basis von Stoffwechselprodukten (Milchsäure, Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure) und durch zahlreiche antimikrobielle Peptide (Bacteriocine) und Enzyme (wie Proteasen, DNAsen, RNAsen, Lipasen etc.) in der Lage ist, pathogene Mikroorganismen zu antagonisieren (entgegenwirken) oder im Falle von Virus-DNA/RNA diese zu zerschneiden.

Weiterhin sind sie in der Lage, die intramikrobielle Kommunikation der pathogenen Bakterien zu stören. Bakterien (Pathogene wie Kommensale) sind in der Lage, ihre Populationsdichte mittels Signalsubstanzen zu ermitteln. Bei Gram-negativen Bakterien wie E. coli oder Salmonellen sind das Lactone, bei Gram-positiven Bakterien wie Staphylokokken, Clostridien sind das kleine Peptide oder Aminosäuren. Man bezeichnet diese Strukturen auch als Autoinducer. Jedes Bakterium gibt davon eine kleine Menge in das Medium ab. Wenn diese Konzentration einen bestimmten Wert überschritten hat, wird ein Rezeptor an den Bakterien besetzt, von dem aus dann bestimmte Stoffwechselprozesse in Gang gesetzt werden. Dann verhalten sich die Bakterien wie ein multizellulärer Organismus und tun alle das Gleiche, bilden beispielsweise Toxine, Kapseln, Schleime, Biofilme etc.
Der Prozess an sich wird als Quorum Sensing bezeichnet. Das bedeutet, dass immer die Konzentration der Erreger eine Rolle spielt. Sind diese Erreger in geringer Zahl vorhanden, sind sie ohne Bedeutung. Zahlreiche kommensale Bakterien, z. B. Lactobacillus plantartum,sind in der Lage, diese Kommunikation der pathogenen Bakterien zu stören, indem sie mit Enzymen (Lactonasen, Peptidasen etc.) die Lactone, Peptide zerschneiden. Die pathogenen Bakterien können dann nicht mehr miteinander kommunizieren, „meinen“ deshalb, sie seien zu wenige, und verhalten sich unschädlich. Man bezeichnet diesen Prozess als Quorum Quenching.
Interessant ist, dass mit den gleichen Rezeptoren, an die die Autoinducer binden können, auch Katecholamine (Epinephrin und Norepinephrin) anbinden können. Das bedeutet, dass diese Bakterien in der Lage sind, den geschädigten Zustand ihres Wirtes zu erkennen und für sich zu nutzen, um sich massiv zu vermehren. Sie funktionieren damit den Wirt zur Nahrungsquelle im eigenen Interesse um. 

Andere Bestandteile


Ein zweiter, zahlenmäßig nicht so ausgeprägter Teil der Mikrobiota umfasst die passageren Mikroorganismen, die entweder mit dem Futter/der Nahrung aufgenommen werden oder von ihrem ursprünglichen Standort (z. B. Dünndarm) durch Peristaltik an einen anderen Ort (z. B. Dickdarm) verbracht werden, sich durch Abschilferung vom ursprünglichen Kompartiment, durch Adhärenz an Futterpartikel entfernt haben oder entfernt wurden und dann die nachfolgenden MDT-Kompartimente passieren.

Ein dritter, aber oft wesentlicher Teil der Mikrobiota sind die Restkeime. Sie umfassen Pathogene wie Salmonellen, Yersinien, Rotaviren, Kokzidien, etc. Sie können sich nur etablieren wenn die oben beschriebenen Barrieren und hier besonders die mikrobielle Barriere nicht voll funktionsfähig sind.

Zur autochtonen Mikrobiota gehören von der bakteriellen Seite Laktobazillen, Bifidobakterien, einige Bacteroides Species, die segmentierten fadenbildenden Bakterien (SFB) aus der Gruppe der Clostridien, bei bestimmten Tierarten E. coli, Ruminococcus spp., Roseburia spp, Faecalibacterium prausnitzii u.a. Ihr Vorhandensein in ausreichender Menge ist entscheidend für das bakterielle Gleichgewicht des MDT.

Prof. em. Dr. Monika Krüger, Biologin

Dieser Artikel ist Teil unserer Serie über den Magen-Darm-Trakt

04.09.2017

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