Wildkatzen in Deutschland
Auf leisen Pfoten durch die Nacht ...
Ein bisschen verschwommen sieht das Fell aus, zwei schmale Pupillen blicken über die fleischfarbene Nase und die geringelte, breite Schwanzspitze peitscht nervös hin und her. Ein Tier auf der Lauer. Jeder Muskel ist zum Zerreißen angespannt, um blitzschnell vorspringen zu können. Doch die Katze, die sich hier mitten im Wald auf Mäusejagd macht, hat keine Vorfahren, die aus der Wüste kommen. Anders als unsere Hauskatzen, die von der afrikanischen Falbkatze abstammen, liegt ihr Stammbaum in Europa. Gestatten: Felis silvestris silvestris – die europäische Wildkatze.
Während weibliche Katzen 2,5 - 5 Kilo wiegen, bringen es Kater, auch Kuder genannt, auf 3 bis stattliche 8 Kilo. Da sie keine sonnenverwöhnten Regionen kennen, ist ihr Fell dichter und langhaariger als das unserer Hauskatzen. Dadurch wirken sie wesentlich größer.
Ihre durchschnittliche Lebenserwartung in der freien Wildbahn liegt meist bei unter zehn Jahren. Doch das sind zehn Jahre voller Freiheit und Abenteuer. Über 90 % der Nahrung machen Mäuse aus, ansonsten stehen Kleinvögel, Kaninchen oder junge Hasen auf dem Speiseplan. Auch Insekten und Eidechsen werden gelegentlich gefressen. Und ist der Winter lang und kalt, wird selbst Aas nicht verschmäht.
Lange Zeit waren die scheuen Wildtiere aber selber die Gejagten und wurden vom Menschen fast ausgerottet. Noch immer gibt es kein generelles Jagdverbot für Wildkatzen, aber sie stehen unter ganzjähriger Schonzeit und dürfen deswegen nicht geschossen werden.
Um genügend Nahrung zu erbeuten, entspricht das Jagdrevier der Katzen einer Fläche bis zu 1.000 Hektar, das der Kater sogar bis zu 4.000 Hektar. Ein Hektar ist ungefähr so groß wie ein Fußballfeld. Aber auch hier kommt der Mensch wieder ins Spiel. Denn er vernichtet die begehrten Waldgebiete, die einen alten Baumbestand mit Höhlen, umgestürzten Wurzeltellern und Totholz bieten. Aber gerade das brauchen die Wildkatzen als Versteck und nur dort können sie auch Jungtiere aufziehen.
Ackerflächen und Siedlungen machen aus den früher weitläufigen Wäldern isolierte Inseln. Und der verbliebene Waldbestand wird forstwirtschaftlich genutzt. Die Wildkatze ist nicht nur auf ein Überleben im Wirtschaftwald angewiesen, sondern zusätzlich werden diese Flächen auch noch im wahrsten Wortsinn durchschnitten, mit Wegen und Straßen. Wer dem Auto nicht zum Opfer fällt, zieht sich noch weiter zurück. Und hier droht den scheuen Wildtieren die nächste Gefahr: mangelnde Partnerwahl und fehlender Austausch von Wildkatzen unterschiedlicher Lebensräume. Die Paarungszeit ist im Februar/März und die Katzen bringen nach 63-69 Tagen meist zwei Jungtiere zur Welt. Durch den fehlenden Gen-Austausch der Katzen kommt es zur Anfälligkeit für Erkrankungen und genetischen Fehlbildungen durch Inzucht.
Die Vernetzung von Lebensräumen
Anfang dieses Jahrtausends in Thüringen.
Während im Nationalpark Hainich europäische Wildkatzen beheimatet sind, finden sich im nahen Thüringer Wald keine Spuren von ihnen. Den Hainich und den Thüringer Wald trennen große Ackerflächen und die scheuen Tiere wagen sich nicht über die offene Ebene.
Korridore und Trittsteine
Thomas Mölich und Burkhard Vogel vom BUND - Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - kommen auf die Idee, einen Grünkorridor zu schaffen. Sie entwickeln methodisch einen Bedarfsplan des Lebensraums der Wildkatzen für ganz Deutschland, den Wildkatzenwegeplan. Doch es gilt noch viele Hindernisse zu überwinden. Eigentümer müssen gefunden werden, die dann auch bereit sind, ihre Grundstücke zu verpachten oder zu verkaufen. Außerdem überprüft die Untere Naturschutzbehörde UNB, ob überhaupt aufgeforstet werden darf. Artenreiche Grünflächen oder Feuchtbiotope sollen dabei nicht zerstört werden. 2007 ist es endlich soweit und der erste Wildkatzenkorridor verbindet den Nationalpark Hainich mit dem 20 Kilometern entferntem Thüringer Wald. Und das ist erst der Anfang, 2011 startet das Projekt WILDKATZENSPRUNG. So wird aus einer regionalen Idee in Thüringen eines der größten Naturschutzprojekte Europas.
In den Jahren 2011 bis 2017 kann der BUND im Rahmen des Projektes Wildkatzensprung bedeutsame Verbindungen von Waldgebieten schaffen. Mehr als 25.000 Bäume und Sträucher werden gepflanzt. Der ideale Waldkorridor ist mindestens 50 Meter breit und besteht aus drei Zonen. Im Inneren sind langlebige Bäume, die zweite Zone besteht aus Gebüschen und die Randzone wird von Gräsern und Wildkräutern gebildet. Wenn es große Flächen mit intensiv genutzter Landwirtschaft zu überbrücken gilt, kommen auch so genannte Trittsteine zum Einsatz. Hier werden bepflanzte Flächen wie Perlenschnüre aneinandergereiht und bilden Rückzugsräume für verschiedene Wildtiere auf ihren Wanderungen von einem Waldstück zum nächsten. Wildkatzen sollen dabei bis zu 500 Meter „Lücke“ zwischen den einzelnen Trittsteinen überwinden können.
Aktionen des Projektes „Wildkatzensprung“ 2011 - 2017:
Hessen
Um die Wildkatze zu schützen, konnten in Hessen mehr als 51.000 qm Fläche mit heimischen Laubgehölzen bepflanzt werden. Weitere Grundstücke mit knapp 30.000 qm wurden erworben und sollen dazu beitragen, die Ausläufer des Rothaargebirges mit dem Burgwald zu verbinden (Achse Sauerland/Marburg).
Thüringen
In Thüringen wurden mehrere Korridorabschnitte und ein Trittstein fertig gestellt. So konnten Wälder Thüringens mit Lebensräumen der Wildkatzen im Harz bzw. Erzgebirge verbunden werden.
Niedersachsen
Grüne Korridore entstanden, um Lebensräume im Solling und im Harz über den großen Trittstein Hildesheimer Wald zu verknüpfen. So konnte beispielsweise ein 900 Meter langer Korridor von der Leineaue in Richtung Hildesheimer Wald umgesetzt werden.
Baden-Württemberg
Südlich von Stuttgart konnte ein fünf Kilometer langer Korridor durch intensiv genutzte landwirtschaftliche Flächen realisiert werden. Hier soll eine Vernetzung von Schwarzwald und Schwäbischer Alb entstehen.
In der Eifel und im Hunsrück leben mittlerweile je 500 - 1.000 Tiere, im Pfälzerwald 200 – 600 Tiere und im rheinland-pfälzischen Teil des Taunus 100 -. 200 Wildkatzen. Weitere Schwerpunkte mit Vorkommen befinden sich im Harz, Solling, Kyffhäuser, Nordthüringen und dem Nationalpark Hainach.
Rheinland-Pfalz
Es wurden vor allem kleinere Waldgebiete miteinander vernetzt, dabei geht es um die Verbindungen zwischen Westerwald/Taunus und dem Rothaargebirge. Auch wurden Wälder mit Totholz aufgewertet.
Nordrhein-Westfalen
Der Schwerpunkt lag auf der Schaffung von Rückzugs- und Aufzuchtmöglichkeiten durch Totholz in Wirtschaftswäldern rund um den Nationalpark Eifel. Gerade wenn der Anteil des Nadelholzes bei über 90 % liegt, sind kleine Laubholzinseln mit stehendem und liegendem Totholz umso wichtiger.
Grünbrücken
Neben Grünkorridoren und Trittsteinen sind auch Grünbrücken ein wichtiger Bestandteil bei der Vernetzung von Wäldern. Eines der schönsten Beispiele dafür ist die Grünbrücke Heinzenberg bei Nettersheim in der Eifel. Sie wurde im Dezember 2013 eröffnet. Erstmalig in Europa wurde hier eine bogenförmige Konstruktion aus Holz und Beton verwendet. Die Brücke ist 50 Meter lang und 36 Meter breit und bietet durch ihre Bepflanzung einen Übergang für Wildtiere über die Autobahn A1. Sie entstand allerdings nicht im Rahmen des Projektes Wildkatzensprung, sondern konnte durch ein Konjunkturprogramm zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Stärkung der Wachstumskräfte, dem so genannten Konjunkturpaket II der Bundesregierung, realisiert werden. Die Wildbrücke stellt einen wichtigen Beitrag zum Wildkatzenwegeplan dar. Hohe Seitenwände schützen die Wildtiere vor Autolärm und Scheinwerferlicht. Ein Sandstreifen auf der Mitte der Brücke hilft dabei Pfotenabdrücke zu finden, wobei hier aber vor allem Rotwild und Hasen ihre Spuren hinterlassen.
Wildkatzen bleiben eher am Rand der Brücke in Deckung, werden aber von den vier Überwachungskameras erfasst. Damit die Katzen und andere kleinere Wildarten, wie Dachs und Fuchs, auch sicher zur Brücke gelangen, ist mehrere Kilometer beiderseits der Wildbrücke ein engmaschiger Drahtzaun mit Überkletter- und Untergrabungsschutz errichtet worden. Allerdings führt die eigentlich verbotene Nutzung der Brücke durch Spaziergänger, Fahrradfahrer und Reiter, zum Teil sogar mit Hunden, immer wieder dazu, dass Wildtiere die Brücke meiden.
Die Gendatenbank
Trotz aller Beweisfotos lässt sich nicht eindeutig feststellen, ob es sich um reine Wildkatzen oder um verwilderte Hauskatzen oder Kreuzungen mit Hauskatzen handelt. So entstand im Rahmen des Wildkatzensprung-Projektes in Zusammenarbeit mit BUND und der Senckenberg Gesellschaft zur Naturforschung eine einmalige Wildkatzen-Gen-Datenbank.
Zwischen 2007 und 2013 haben hunderte freiwillige Helfer bundesweit Probenmaterial gesammelt. Dabei macht man sich die Vorliebe aller Katzen für Baldrian zum wichtigen Hilfsmittel. Aufgeraute Holzlatten, deren oberes Ende mit Baldrianextrakt besprüht wird, kommen als Lockstöcke zum Einsatz. Wenn sich nun eine Katze an diesem unwiderstehlichem Duft reibt, können anschließend Haare eingesammelt werden. So wurden 5.200 Proben von Lockstöcken gewonnen. Weitere 660 Proben stammen von überfahrenen Tieren.
Das Haarmaterial zeigt, dass es sich bei den Proben um 2.220 verschiedene Wildkatzen handelt. Interessanterweise wurden aber nur in vier Prozent der Haarproben auch DNA-Material von Hauskatzen nachgewiesen. Wildkatzen paaren sich also fast ausschließlich untereinander.
Die Gen-Datenbank wird ständig erweitert und soll dabei nicht nur einen Überblick über die Anzahl der Wildkatzen liefern, sondern auch über ihre Wanderungen und Raumnutzungen. Die Daten zeigen, dass die Grünkorridore genutzt werden, und dass es mittlerweile auch im Kottenforst bei Bonn und im Odenwald Wildkatzen gibt. So kann die Vernetzung von Wäldern gezielter stattfinden.
Initiatoren und Helfer für die Artenvielfalt
Das Projekt Wildkatzensprung des BUND wurde vom Bundesamt für Naturschutz mit 3,85 Millionen Euro gefördert. Aber nicht alleine das Geld hat diesen Erfolg möglich gemacht, sondern die vielen freiwilligen Helfer. Es wurden nicht nur Kilometer überbrückt, sondern auch Brücken zwischen ganz unterschiedlichen sozialen Gruppen geschlagen. Vom engagierten Naturschützer, Berufstätigen der unterschiedlichsten Sparten, von Mitarbeitern von Behörden, Schülern, Studenten, Landwirten, Förstern, Jägern und Politikern, sie alle bildeten ein Rettungsnetz für Artenvielfalt und den Schutz der Wildkatzen. Auch wenn 2017 das Projekt Wildkatzensprung nach sechs Jahren seinen Abschluss fand, so bleibt das langfristige Ziel die Schaffung eines 20.000 km langen Waldverbundes in Deutschland bestehen.
Das Wichtigste ist und bleibt dabei ein kleines Raubtier, das schon immer in unseren Wäldern ein verborgenes, wildes Leben führt. Es liegt an jedem von uns, der Europäischen Wildkatze eine Zukunft zu geben.
Eine zusätzliche Karte gibt es unter wildkatzenwegeplan.de
Martina Kamp, Tierheilpraktikerin
31.01.2018