Klostermedizin und Klostergärten
Auf der Reichenau im Bodensee, im Kloster Oberzell bei Würzburg, im Kloster Lehnin in Brandenburg, im Kloster Lorsch bei Worms, an der Einhardsbasilika in Seligenstadt, auf dem Rochusberg bei Bingen – nahezu überall finden wir herrliche Klostergärten. Sicher kennen Sie auch den einen oder anderen in Ihrer näheren Umgebung. Diese Klostergärten erfreuen uns mit ihren schönen Anlagen, ihren geordneten Beeten, den schönen Pflanzen und den Erläuterungen zu deren Heilwirkungen.
Bevor wir die Geschichte der Klostermedizin betrachten, setzen wir uns erst einmal mit der Entwicklung der Orden in Europa auseinander:
Benedikt und die Krankenpflege
Benedikt von Nursia (um 480–547) gründete das Kloster Monte Cassino in Süditalien. Es ist das Mutterkloster der Benediktiner; Benedikt gilt als Vater des abendländischen Mönchtums. Seine benediktinischen Regeln ordnen und strukturieren das Zusammenleben und die Arbeit der Mönche, die Regula Benedicti wurden zum Vorbild für die Orden in Westeuropa.
Es war in den unruhigen Zeiten der Völkerwanderung. Mit dem Niedergang des weströmischen Reiches brachen Verwaltung und Infrastruktur zusammen, damit auch Ausbildung und Lehre. In Europa kam es zu Umbrüchen in der Kultur und der Zivilisation, es kam auch zum Verschwinden des bis dahin bestehenden antiken medizinischen Systems. In diesem Vakuum entwickelte sich die neue christliche Kultur.
Die Klöster waren keine weltabgewandten Inseln, sondern Zentren der spirituellen Erneuerung, der Wissenschaft und der Bildung, der Landwirtschaft und der Medizin. Benedikt schrieb in seiner Regel: „Die Sorge für die Kranken steht vor und über allen anderen Pflichten.“ Außerdem wurde darin festgelegt, dass jedes Kloster eine Krankenstation und einen Pfleger haben solle, der in der Heilkunde ausgebildet sei. Damit wurde die Grundlage für die Epoche der Klostermedizin geschaffen.
Die Basis der Klostermedizin
Das Wissen der Klostermedizin rekrutierte sich aus der Volksheilkunde und aus den Beobachtungen der Mönche und Nonnen bei der Versorgung der Kranken. Hinzu kam das Wissen aus den Übersetzungen der antiken Texte der griechischen, römischen und später auch arabischer Ärzte. Altes regionales Wissen floss hier mit ein, die keltisch-germanische Heilkunde wurde, wo es ging, christianisiert. Heidnische Pflanzen bekamen christliche Namen, (Mariendistel, Johanniskraut, Kreuzkraut, Heiligenkraut), neue Heilpflanzen aus Italien wurden über die Alpen gebracht und in den geschützten Gärten der Klöster kultiviert.
Klostermedizin definiert keine therapeutische Richtung, es ist eine historische Bezeichnung in der Medizingeschichte, die die Zeit vom Früh- bis zum Hochmittelalter umfasst. Die Hauptphase der Klostermedizin dauerte vom 8. bis Mitte des 12. Jahrhunderts. In dieser Zeit lag die medizinische Versorgung in Europa vor allem in den Händen von Mönchen und Nonnen. Natürlich gab es immer eine Volksheilkunde, die die Menschen in Stadt und Land für sich und ihre Tiere nutzten. Die Medizin war zu dieser Zeit einerseits ein Handwerk, das von Badern und Feldscheren ausgeübt wurde, sie galt andererseits als angewandte Theologie, denn die Menschen glaubten, Krankheiten seien von Gott gesandt. Das galt auch für Seuchenzüge wie die Pest. Eine Heilung ohne Gottes erschien den Menschen unmöglich.
Aufgaben der Klöster
Die Klöster übernahmen seit Beginn ihres Auftretens verschiedene soziale Aufgaben für die Allgemeinheit. Caritas – die Barmherzigkeit –, diese Regel Benedikts war die Basis der Klosterheilkunde. Papst Gregor befand Benedikts Regeln für vorbildlich und erklärte sie für alle katholischen Orden für verbindlich. Viele Orden gründeten Spitäler, sie kümmerten sich um Pilger, um Reisende, um Alte und Kranke. Malteser, Johanniter, der Orden des heiligen Lazarus – sie haben hier haben hier ihren Ursprung.
Nur in den Klöstern gab es Schriftkundige. Und so fielen den Klöstern auch zahlreiche Verwaltungsaufgaben zu, wie das Führen der Grundbücher oder die Einnahme und Verwaltung des Zehnten. Die Klöster als religiöse Zentren waren so auch die Universitäten, die Finanzämter und Notariate, die Apotheken. Die gebildeten Mönche hatten politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einfluss. So war Walahfrid Strabo, Abt auf der Klosterinsel Reichenau, ein Berater Ludwigs des Frommen, dem Sohn Karls des Großen und Kaiser von 813–840.
Walahfrid Strabo und Karl der Große
Von diesem Walahfrid Strabo ist ein Lehrgedicht über seinen Klostergarten überliefert. De cultura hortorum, was bedeutet: Über den Gartenbau. Der gelehrte Gärtner nennt seinen Garten darin liebevoll Hortulus – Gärtlein – und als Hortulus ist das Büchlein mit 24 Heilpflanzen in der Kräuterliteratur gut bekannt.
Karl der Große wiederum förderte den Obstbau und die Heilpflanzengärten in seiner Landgüterverordnung, den Capitulare de villis. Viele Kräuter und Bäume, die Karl zur Anpflanzung auf den Landgütern vorschreibt, gediehen früher nur im mediterranen Klima. Auch der St. Gallener Klosterplan stammt aus dieser Zeit und ist vermutlich von Strabos Hand. Er beschreibt darin den Klostergarten mit 50 Arten, in dem jede Heilpflanze ein eigenes Beet bekommt.
Aufgaben der Klostergärten
Diese Klostergärten hatten mehrere Aufgaben, es waren botanische Gärten, sie dienten der Ausbildung und man konnte zum Beispiel Mönche mit einem blühenden Johanniskrautzweig als Referenz auf eine entfernte trockene Wiese schicken, damit sie dort nach genauem Vergleich die richtigen Pflanzen ernteten, um so einen Korb voll zum Trocknen oder zur Ölbereitung nach Hause zu bringen. Die Gärten waren eine „Handapotheke“ und für empfindlichere mediterrane Pflanzen wie Thymian, Rosmarin oder Salbei ein Schutzraum, um den mitteleuropäischen Winter heil zu überstehen. Die großen Mengen an Kräutern, die zur Versorgung einer größeren Klostergemeinschaft und der Bevölkerung notwendig waren, konnten nur zum Teil im Kloster selbst erzeugt werden. Zu den angebauten Pflanzen kam das Gros der Wildpflanzen, die an ihren speziellen Standorten auf Feldern, Wiesen, Triften und in Wäldern gesammelt wurden.
Hildegard von Bingen
Als einer der Höhepunkte der Klostermedizin gelten die Werke der Hildegard von Bingen aus dem zwölften Jahrhundert. Zwischen 1150 und 1160 verfasste sie ihre Abhandlungen zur Heilkunde, die unter den Namen Physica und Causae et curae – Ursachen und Behandlungen – bekannt geworden sind. Hildegard glaubte fest an Gott als endgültige Heilung aller Krankheit. Die Physica besteht aus neun Bänden, zwei davon sind den Kräutern gewidmet, eines der Heilkraft der Bäume, andere verschiedenen Tieren, Edelsteinen und Metallen.
Hildegard von Bingen hat auf der Basis der Säftelehre eine eigenständige medizinische Theorie entwickelt, die für das Mittelalter einmalig war. In ihren Untersuchungen betrachtete Hildegard von Bingen etwa 200 Pflanzen. Einige von ihnen werden heute noch verwendet, ihre pharmakologische Wirksamkeit ist untersucht und bestätigt. Andere Kräuter sind heute nicht mehr bekannt oder es lässt sich nicht herausfinden, welche Pflanze mit dem von Hildegard benutzten Namen gemeint ist.
Hildegards Heilkunde setzt sich nicht allein mit den Pflanzen auseinander, zur richtigen Arznei kommen die richtige Ernährung, Gottesfurcht, Fasten und Ausleiten, die alle für die Heilung mitentscheidend sind.
Die Schule von Salerno
Das Kloster Monte Cassino unterhielt in Salerno ein Hospital für erkrankte Ordensbrüder. Kreuzfahrer legten im Hafen von Salerno an, um dort bei den heilkundigen Mönchen im Hospital ihre Kranken pflegen zu lassen. Aus der Gruppe dieser Heilkundigen, der civitas salernitatis, entwickelte sich eine der ersten medizinischen Hochschulen in Europa. Von Spanien, wo das breite Wissen der orientalischen Medizin auf die abendländische Kultur traf, ging langsam eine Akademisierung der Laienmedizin aus. Die Klostermedizin verlor ihre Vorrangstellung gegenüber den Laienheilern, wobei sich der Begriff Laie nicht auf die Volksheilkunde bezieht, sondern auf nichtgeistliche Mediziner.
Durch die Reformation wurden in Nordeuropa viele Klöster geschlossen, während der Gegenreformation entstanden jedoch wiederum neue. In dieser Zeit entstanden die Klosterapotheken, in denen vor allem Heilkräuter verkauft wurden. Diese stellten jedoch eine Konkurrenz zu den inzwischen erstarkten weltlichen Apotheken dar, sodass mancherorts die Klosterapotheken verboten wurden.
Bewahrtes Wissen
In Deutschland gibt es seit 1999 am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Würzburg eine Forschergruppe „Klostermedizin“. Zu der Gruppe gehören Mediziner, Botaniker, Chemiker, Pharmazeuten, Philologen und Historiker. Forschungsziel ist es, das von den Mönchen und Nonnen gesammelte Erfahrungswissen systematisch zu erfassen und der Öffentlichkeit, aber auch der modernen Medizin, zugänglich zu machen. Dafür werden zunächst die lateinischen Texte übersetzt, ehe die beschriebenen Pflanzen wissenschaftlich untersucht werden. Inzwischen existieren mehrere Hundert Pflanzenportraits, die die Forschergruppe in Datenbanken zusammengestellt hat und die unter der Adresse http://www.klostermedizin.de im Internet abrufbar sind.
Manfred Heßel
Dipl. Ökologe und Phytotherapeut
Weiterführende Informationen:
http://www.klostermedizin.de/
Johannes Gottfried Mayer und Kilian Saum: Das große Buch der Klosterheilkunde, ZS Verlag 2013
Wolfgang U. Eckart: Geschichte der Medizin. Springer-Verlag, 4. Aufl., Berlin 2001
Peter Riethe: Hildegard von Bingen
Das Buch von den Pflanzen. Otto Müller Verlag, Salzburg, 2007
01.12.2018
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